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[   Band 3 Brief 226:    Humboldt an Caroline    Schwarzburg, 9. September 1810   ]


habe. Am andern nachmittag beim Spazierengehen sagte sie mir:
»J’ai reçu le papier que Vous m’avez demandé«. Ich war so ver-
wundert, daß ich sie gar nicht verstand, und da sie mir sagte, es
sei die Verzichtleistung, fürchtete ich, daß bei dem schnellen Ab-
machen etwas würde versehen sein. Beim Auseinandergehen des
Abends gab sie mir das Blatt, und es ist ganz, wie ich es nur
hätte vorschreiben können. Es ist eine förmliche, von ihr unter-
schriebene und untersiegelte Urkunde. Von Retribution war nicht
mehr die Rede, und Du siehst, mein holdes Kind, daß ich Deine
Sache, als Dein Minister, so gemacht habe, daß Du mich wohl
ferner brauchen wirst. Aber im Grunde dankst Du Dir es selbst.
Denn wäre die Fürstin Dir nicht so ungemein gut, so wäre es
nicht so leicht gegangen.
Von ihrer Liebe zu Dir hat sie mir noch gestern einen großen
Beweis gegeben. Dein Bild und die Zeichnung der Kleinen war,
soviel ich mich erinnert hatte, mit meinen anderen Sachen in Rudol-
stadt geblieben. Die Fürstin hat nun eigens hingeschickt, den Kasten
holen zu lassen. Beide Bilder stehen im gewöhnlichen Wohnzimmer,
und die Fürstin besonders, obgleich auch alle andern, steht sehr oft
davor und spricht darüber. Sie findet Dein Bild freilich gar nicht
vorteilhaft, aber doch sehr ähnlich, ausdrucksvoll und lebendig, und
ich habe hier die Freude, über die Augen viel, wie man soll,
sprechen zu hören, und selbst sprechen zu dürfen.
Deinen Brief, den Du an Lolo *) geschickt, vom 25. Juli, habe
ich doch hier bei der chère mère gefunden. Lolo hatte die Klug-
heit gehabt, ihre Briefe an ihre Mutter abgeben zu lassen, und so
ist er mir richtig zugekommen. Lolo ist nach Heidelberg gereist,
wo ihr ältester Sohn studiert. Caroline **) ist in der Schweiz. Ich
weiß nicht, ob allein oder mit dem Geliebten. Das Zusammen-
treffen mit diesem ist wenigstens gewiß bei der Reise kombiniert.

———
*) v. Schiller. —  **) v. Wolzogen.

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