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[ Band 3 Brief 206: Humboldt an Caroline Berlin, 7. Julius 1810 ]
Eigentlich kann man das von jedem Dasein sagen; denn jedes ist ein Ringen nach Erhaltung und Selbständigkeit gegen unterdrückende Gewalt und hervor aus der starren Masse bloß toter Natur. Es ist auch jedes Dasein ein Gefühl der Isolierung, der Einsamkeit, eine Sehnsucht nach Vereinigung mit einem andern und keine Vereinigung innig, kein Mittel der Verständigung klar und vernehmlich genug. Was man daher Glück nennt und Ruhe, ist meistenteils nur ein Leben in der Sphäre, die nie diese Tiefen der Menschheit berührt. Das wahre, wünschenswürdige Glück kann nur der Glanzpunkt jener tieferen Stimmung sein, wo das gelingt, das eigentliche innere Wesen, seinen innigen Zusammenhang mit allem Großen der Natur so zu fühlen, daß alle Empfindung des Widerstandes und des Ringens verschwindet, und das muß augenblicklich vorüberfliehen. Aber wen das Element des Schmerzes und der Wehmut in ungetrübter Reinheit umgibt, der fühlt sich heimisch und wohl darin, dem wachsen unvermerkt die Kräfte der inneren Menschheit, er drückt die Natur inniger an sich, durchdringt sie selbst mächtiger und führt in Genügsamkeit und Entsagung ein reiches und unendliches Leben, das er mit keinem anderen vertauschen möchte. Das innere Leben bleibt immer das Höchste, und ein wie sicherer Zufluchtsort es in jeder Lage ist, habe ich recht deutlich in dieser Zeit der Trennung gefühlt. Aller Geschäfte ungeachtet kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich sehr viel einsam mit mir gelebt habe. Schon die Sehnsucht, die mich nie einen Augenblick verlassen hat, treibt von allen äußeren Gegenständen immer in eine innere Abgeschiedenheit und Tiefe zurück. Schone nur, mein holdes Wesen, Deine Gesundheit, ich bitte Dich. Wir werden dann wieder recht glücklich zusammen leben, und Du sollst sehen, wie ich alles tun werde, Dich heiter und ruhig und ungestört zu erhalten. Ich liebe Dich über allem Ausdruck und sehne mich unbegreiflich nach Dir. 431