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[ Band 3 Brief 169: Humboldt an Caroline Frankfurt a. d. Oder, 4. März 1810 ]
und Gefühl in derselben Sphäre und schwindet die Besorgnis, daraus heruntergezogen zu werden. Es ist das die wahre und rechte Bestimmung der Frauen, nicht zu gestatten, daß die Männer, die einmal nicht anders als an gewisse Arbeiten gekettete Sklaven, bestimmt sind, sich im materiellen und realen Leben herumzutreiben, der besseren und höheren Freiheit fremd werden. Ich bin mir bewußt, daß ich das sehr früh empfunden habe, und bin oft nicht begriffen worden, wenn ich über Männer und Frauen und ihr gegenseitiges Verhältnis sprach. Aber wenig Frauen auch sind gemacht, um durch ihr Dasein, denn es gehört eigentlich nur dazu, da zu sein und selbst in Freiheit zu walten, diesen Segen reich und wohltätig zu verbreiten; wenige sind so, daß man sich ihnen nur zu nahen braucht, um eine feinere und reinere Sphäre zu atmen, und noch weniger Männer sind fähig, diesen Odem, auch wo er unleugbar weht, zu empfinden und in unentweihter Brust aufzunehmen. Es ist sogar traurig, daß selbst die Besten es nicht in allen Momenten sind. Ganz ist es freilich unmöglich. Das Heiligste ganz zu empfinden, ist man immer nur in Momenten gestimmt, auch der Höchste kann darin nicht anders sein. Er ist schon glücklich, wenn er nur zu verhindern vermag, daß aus dem Mangel der reinen und harmonischen Stimmung nicht Kränkung und Unempfindlichkeit hervorgeht, daß wenigstens, was das Höhere und Bessere in ihm gewirkt hat, immer in Liebe und einer Scheu, die die echte Liebe immer begleitet, sichtbar bleibt. Auch dahin zu kommen, liebe Li, ist nicht leicht, und ich weiß sehr wohl, daß ich nicht immer so gewesen bin, und daß Dein Leben noch glücklicher und schöner hätte sein können. Aber es ist doch in mir mit dem fortschreitenden Leben immer reiner und reiner geworden, ich habe Dein liebes, großes Wesen, da Dir in dieser echten Weiblichkeit keine sich nur irgend gleich- 354