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[ Band 3 Brief 157: Humboldt an Caroline Weimar, 20. Januar 1810 ]
samer reise, um bei Ilgens einen Nachmittag und Nacht zuzubringen. Aber das Unglück der Trennung macht auch milder, und die kleine Ilgen ist ein sehr gutes Geschöpf, die uns mit Leib und Seele anhängt. Er ist, wie immer, aber unter der harten Rinde auch gut und herzlich. Sie ist noch recht hübsch. Aber die Arme ge- fällt sich nicht da. Es ist ihr zu klösterlich und melancholisch in der Pforta. Stell Dir nur vor, sechs Wochen lang im Winter kommt nie ein Sonnenstrahl in diesen Bezirk, weil die Sonne nicht über den Berg kann. Man sieht nur ihren Schein an den Bergen in der Ferne gegenüber, und sechs Wochen im Sommer ist ebenso der Mond gebannt. Welches Land! Dann aber sieht die Arme in der Stube, wo sie wohnt, immer zehn Schritt vor sich das Wasser, in dem ihre Tochter ertrank. Es ist ein Arm der Saale, schmal wie ein Kanal. Die Mädchen, die Tochter und eine Ver- wandte gingen nur über den Hof in ein anderes Haus. Da fielen sie hinein. Der Vater, Ilgen, geht auf den Lärm nach, fällt aber selbst hinein, wird gerettet, aber vor Schreck und Kälte sehr krank zu Hause gebracht. Indem die unglückliche Mutter noch mit dem Mann beschäftigt ist, bringt man die tote Tochter. Sie lag keine halbe Stunde im Wasser, und die Ilgen meint, bei geschickterer Hilfe sei sie zu retten gewesen. So blieb sie. Und das Wasser hat nun die Arme immer vor Augen. Ilgens äußere Lage ist übrigens ordentlich glänzend. Sie bitten Dich sehr, doch auch eine Nacht bei ihnen zu bleiben, und wenn es Dir sonst nichts verschlägt, so rate ich Dir dazu. Du machst der armen Frau auch sehr große Freude. Sie war schon über mich ganz außer sich. Meine Briefe haben mir über die Angelegenheiten in Berlin nicht mehr gesagt. Aber eine Privatnachricht, die sehr gut ist. Durch ein eigenes Dekret ist der Sequester im Herzogtum Warschau namentlich für mich und Alexander aufgehoben und zwar für alle 323