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[   Band 3 Brief 155:    Humboldt an Caroline    Erfurt, 15. Januar 1810   ]


einzeln erwachen und sich dann zur Verwunderung äußern. Bei
uns bleibt nicht leicht etwas so isoliert im Gemüt und spricht sich
bald auch im ganzen mehr aus, und wo es das nicht tut, darf
man auch sonst nicht viel voraussehen. Du, liebes Wesen, hast
Dich überaus lieb mit der Armen und ihren Kindern genommen,
und Deine Schilderung ihrer Beerdigung hat mich innigst bewegt.
Die armen Kinder so mit nichtssagenden Spielereien von Engeln
und Flügeln um alles Süße und Wohltätige des Schmerzes zu
bringen! Du hast sehr recht, daß es unendlich heiliger und besser
ist, das Gefühl rein auswirken zu lassen. Es reinigt und bildet
das Gemüt.
Über Goethes Roman *) soll mich Dein Urteil wundern. Ich
bin nicht ganz so lobend, wie die andern. Allein Du mußt
selbst urteilen.
. . . Alles Unglück kommt von den Männern her. Auch
habe ich einen solchen Haß auf die Männer, versteht sich die ver-
heirateten, daß Caroline noch neulich sich sehr damit amüsiert hat.
Ich könnte manchmal selbst denken, daß es nur so eine gütige
Täuschung der Liebe ist, wenn Du selbst, mein teures, liebes Kind,
meinst, weniger glücklich ohne mich zu sein. Ein Mann troubliert
doch immer, und man muß ohne ihn weit ruhiger und stiller sein.
Überhaupt ist die Ehe ein eigen Ding. Sie ist das Heiligste
und Höchste und Süßeste, aber wie diese Dinge überhaupt, kann sie
auch — ach! und beim besten Mann so leicht — das Leben bis
in die innersten Gefühle hinein verbittern. Ein Mann läuft keine
Gefahr, dadurch zu leiden, wenigstens ist es dann meistenteils seine
Schuld. Aber die Frauen leiden unglaublich und müßten noch
mehr leiden, wenn sie nicht fast durchgängig noch immer viel zu
gut wären, um die Dinge in den natürlichen Farben zu sehen.

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*) Die Wahlverwandtschaften. Vgl. S. 64.

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