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[ Band 3 Brief 32: Humboldt an Caroline Wittenberg, 9. Januar 1809 ]
Maße genossen. Nichts, was ich mir damals als schön und reizend dachte, ist mir als schöner Wahn entschwunden. Du hast Dich in jedem neuen Verhältnis, in jeder freudigen und schmerz- vollen Epoche immer schöner entwickelt, und in Deiner grenzenlosen Güte für mich bist Du Dir beständig unendlich gleich geblieben. Wenn wir nur jetzt erst wieder, und so wie wir es wünschen, vereinigt wären! Da der König vor Ende Februars nicht aus Rußland zurückkommt, so kann sich die wahre Entscheidung noch so lange hinziehen. In Weimar habe ich den Abend bei der Wolzogen Knebel *) gesehen und erfahren, daß er in Potsdam schon unter der Garde Offizier gewesen ist, ehe und als ich geboren wurde. Er kannte meinen Vater. Er hat mir Jena, das er jetzt bewohnt, wieder recht gegenwärtig gemacht. Ich habe den Abend einen großen Krieg mit ihm gehabt, in dem aber Wolzogen auf meiner Seite war. Er verlangte absolut, daß ich die neue Stelle unbedingt und sogleich annehmen sollte, und nannte das Gegenteil ganz unpatrio- tisch und egoistisch. Nach Rom zurückgehen, hieße wirklich sich expatriieren, was auch für die Kinder nicht ratsam sei. Er obstinierte sich wirklich so mit allen diesen Gründen, daß ich viel Not hatte. Es ist was sehr Fatales mit dem Enthusiasmus der Leute für die Wissenschaften und mit meiner Reputation, die mich doch sonst nie sehr gedrückt hat. Die Menschen tun jetzt, als wenn niemand in Preußen mehr ohne mich lesen lernen könnte. Goethe hat mir vertraut, daß er einen neuen Roman **) an- gefangen und schon so weit gebracht hat, daß er ihn im nächsten Sommer in Karlsbad sicher vollenden kann. Den eigentlichen Inhalt hat er mir nicht gesagt; nur scheint er selbst sehr damit zufrieden und sagt, er habe noch einige weibliche Charaktere gehabt, ——— *) Karl Ludwig v. Knebel geb. 1744, † 1834, der bekannte Genosse des Weimarschen Musenhofes. **) Die Wahlverwandtschaften. 64