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[ Band 3 Brief 131: Humboldt an Caroline Königsberg, 14. November 1809 ]
noch gleich lebendig, als da er starb. Er war der erste und einzige, den ich je sterben sah, war bis zum letzten entsetzlichen Augenblicke so holdselig und lieblich, und dabei Dein Schmerz, den ich tiefer als den meinigen fühlte. Oft freilich kommt es mir vor, als wären die holden kleinen Geschöpfe glücklicher, das Leben verlassen zu haben, ehe sie irgend eine Bitterkeit des Daseins fühlten. Es ist gewiß nicht, daß ich mich nicht selbst sehr glücklich fühlte und wirklich ungern vom Leben schiede. Wie sollte ich es nicht, da Du mir so treu und innig anhängst und die Kinder hübsch und lieb sind? Aber es ist doch auch etwas Schönes um die ganz un- entweihte Heiterkeit und Reinheit, um die Unschuld der Seele, die auch nicht einmal der Anblick fremden Unrechts befleckt hat, und von der es, wenn nicht Kinder stürben, kein Bild auf Erden mehr gäbe. Wie sich aber freilich hernach die Seele und das individuelle Dasein gestaltet? Und wie fortblühen und reifen kann, was hier im ersten Aufkeimen weggerissen wird ? Davon kann man sich freilich keinen Begriff, kein Bild, nicht einmal eine Ahndung machen. Es bleibt ein ewig unauflösliches, unergründliches Rätsel, und nichts gewiß, als daß Bande, wie die, womit diese himmlischen Geschöpfe einmal an das Mutter- und Vaterherz geknüpft waren, nie zer- reißen können, und wieder das Geliebte an sich ziehen müssen, früh oder spät, wenn es auch jetzt durch eine fremde unbekannte Welt geschieden ist. Wenn man der Gewißheit dieser Gefühle nicht vertrauen wollte, wo wäre dann überall noch irgend Gewiß- heit zu finden? Ich höre jetzt oft vom Tode und auf eine recht wunderbare, nordische, manchmal fast Shakespearische Weise reden, von der Motherby *), von der ich Dir bei Gelegenheit der Zeichnung unserer Mädchen sprach. Sie hat eine eigene melancholische Wendung, ——— *) Vgl. S. 239. 276