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[   Band 3 Brief 123:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 13. Oktober 1809   ]


andeuten, so richte ich auch seine Erziehung danach. Man muß
dem mathematischen Studium bei ihm den Vorzug geben. Etwas
Vorzügliches wird er vermutlich nur darin leisten. Aber man muß
das Lateinische nicht verabsäumen. Nicht gerade, daß es so wichtig
wäre, daß er darin große Fortschritte machte, obgleich einige immer
unumgänglich notwendig sind, allein weil eine Bildung immer ein-
seitig bleibt, wenn gerade die Sprachform darin nicht hauptsächlich
mit aufgenommen wird. Noch mehr ist das bei entschiedener An-
lage zur Mathematik notwendig. Geist und Gemüt gewinnen
dabei unmittelbar zu wenig, und das ganze Feld der Gedanken,
alles was den Menschen zunächst und zuerst angeht, selbst das,
worauf Schönheit und Kunst beruht, kommt nur in die Seele
durch das Studium der Sprache, aus der Quelle aller Gedanken
und Empfindungen. Sie bleibt immer der Gegenstand, bei dem
es am leichtesten wird, in sich selbst zurückzugehen, die Welt nur
zu lieben, weil man das Gemüt daran erkennt, und Sehnsucht zu
empfangen nach dem Höchsten, was nie als in der tiefen Einsam-
keit des Geistes erscheint. Wem das fehlt, der bleibt doch immer
nur halb würdig und nur halb glücklich.
Lebe innigst wohl, einzig teures Herz. Umarme mir alle
Kinder, so oft ich mit kleinen Kindern hier spiele, bricht mir das
Herz, den Pupo *) nicht gesehen zu haben. Küsse seine lieben Augen.
Wie kann, was einem so nah ist, auch so fern und unbekannt sein!
Ewig ganz Dir allein. H.
Es schneit in diesem Augenblick sehr lieblich.

———
*) Säugling.

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