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[ Band 3 Brief 118: Humboldt an Caroline Tilsit, 2. Oktober 1809 ]
Morgen abend in Memel denke ich gewiß Briefe von Dir zu finden. Ich sehne mich unglaublich danach. Seit Königs- berg habe ich durchaus ohne Briefe aller Art gelebt. Nicht einmal von Zeitungen habe ich gehört. Aber mir ist sehr wohl gewesen. So mehrere Tage immer im Freien, so still in der Ecke des Wagens Deiner gedenken zu können. Ich bin noch viel einsamer gewesen als in Königsberg, auch die Menschen, die ich gesehen, immer schlicht und einfach, ein hübsches und gutmütiges Volk, kurz eine Lage, in der das innerste Gemüt sich doch mehr noch als gewöhnlich fühlt und besitzt. Und im Grunde ist mein Leben doch nur da, und das Deinige noch so unendlich tiefer und schöner. Lebe wohl mein holdes, einzig holdes Wesen! H. 119. Caroline an Humboldt Rom, 3. Oktober 1809 Ich bin vorgestern wieder hereingekommen, die Kinder sind alle wohl und munter und freuen sich unbeschreiblich, wieder in Rom zu sein. Mein Gott, was ist doch das für ein Zauberort! Madame Degérando *), die ich viel sehe und die mich sehr lieb hat, schrieb mir letztens: »Mon Dieu, mon Dieu, qu’il est doux de vivre et de mourir là ou on est né, je ne puis m’habituer à ce triste pays.« Du siehst, nicht alle lieben Rom. Aber die gute Degérando hat ihr einziges Kind in Paris gelassen; weil sie die Reise im Sommer machen mußte, fürchtete sie für die Gesundheit des Kleinen, der zart ist. Das muß freilich eine tiefe Sehnsucht sein. Auch hat das Klima sie ungnädig empfangen, sie leben aber ——— *) Vgl. S. 220. 247