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[   Band 3 Brief 115:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 22. September 1809   ]


Leben, wenn man nur lebt, um einen langersehnten Tag zu
erwarten.
Lebe innigst wohl!


116. Caroline an Humboldt            Albano, 22. September 1809

Gestern war ich beim Emissar *), den ich den Kindern zu
zeigen versprochen hatte. Es war wunderschön auf dem
einsamen Gange, die Vegetation unten am See von
einer Frische und Üppigkeit, daß man kaum auf dem selten be-
tretenen Fußsteige an einigen Stellen durchkonnte, und beim Zurück-
gehen der Vollmond aufgegangen über Monte Cavo, der sein
lichtes Bild im See spiegelte, über das die Wellen zitternd hinweg-
schlüpften, als fürchteten sie, es zu trüben. Auf dem Hinweg
traten wir in das Nymphäum **) nahe bei, das Rauch noch nie ge-
sehen hatte und von wo aus man den Monte Cavo und die Ver-
schränkung der anderen Berge so schön sieht. Rauch war ganz
außer sich über die Aussicht und den grünen, üppigen Vordergrund
von wilden Feigen und wilden Weinreben. Es ist doch ein herrlich
Land! Ich sagte der Herrlichkeit mit Tränen Abschied; doch nicht
auf immer, hoffe ich gewiß.
Ich weiß nicht, ob ich Dir letzthin schrieb, wie ich den Weg
nach Marino gemacht habe, und alles herum gebrannt hatte. Du
kennst ja die Unart des Abbrennens der Stoppeln. Nun hatte
aber beim heftigen Winde das Feuer mehrere Bäume, von denen,
die um den hohen Rand des Sees stehen, ergriffen, und die
armen schönen Bäume brannten von oben herunter in den Stamm.
Mir fiel ein, wie in der Bibel steht, daß Gott im feurigen Busche

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*) Unterirdischer, von den Römern angelegter Abfluß des Albanersees.
**) Grotte des Emissars.

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