< zurück Inhalt vor >
[ Band 3 Brief 100: Humboldt an Caroline Königsberg, den 1. August 1809. ]
jeden Zug Deines Gesichtes ewig aufs neue zurückrufe und mir nichts klar und lebendig genug ist. Ich werde eine unbeschränkte Freude haben, Dich wiederzusehen. Aus dem wahrhaft schönen Dasein ist doch eigentlich jede Periode geradezu herausgerissen, in der man ohne das ist, was man liebt. . . . Es ist wirklich wahr, daß jede Periode des Lebens ihre eigene Hübschheit hat, was man dagegen sagt, beruht größtenteils auf Vorurteil. Wo ein sinniges, wahrhaft ausdrucksvolles Gesicht ist, da eben ist noch mehr, es geht da jede frühere Schönheitsform so in die folgende über, daß man sich ihrer immer gern erinnert, aber sie, verglichen mit der Gegenwart, so sehr als einen Zustand ansieht, der nicht bleiben mußte, daß man ganz davon hingerissen sein kann, ohne sein Verschwinden zu bedauern. Freilich muß, wo das sein soll, wahre Harmonie zwischen innerer und äußerer Gestalt gefunden werden. Aber wo sie ist, kann man bei einer älteren Frau ebensowenig ihre erste Blüte als Mädchen vermissen, als wir bei der Adelheid, wenn sie wie Caroline sein wird, ihre jetzige Kindergestalt vermissen werden. Es ist das auch nicht so, weil ich selbst älter bin. Ich habe es immer gefühlt, und empfinde darum die Blüte der Jugend nicht minder. Man könnte ein Buch darüber schreiben, es grenzt das eben an das tiefste Empfinden der Mensch- heit, wohin wenige gelangen. . . . Auf alle Weise spricht sich in den Kindern eine reine, gute und vielversprechende Natur aus. Es ist die, liebe Seele, die Du den Kindern einhauchst, wenn Du sie in einsamen Nächten und Tagen liebevoll auf deinem Schoß hältst und stillst. Es ist sehr eigen, daß Caroline *) dafür gar keinen Sinn hat und nicht fassen kann, was Du in Deinem Briefe so schön und wahr sagst, daß der Gedanke bildend und ewig durch diese frühe zarte Pflege ——— *) v. Wolzogen. 207