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[   Band 3 Brief 96:    Humboldt an Caroline    Königsberg, 18. Julius 1809   ]


erleichtern mir meine sonst sehr freudenlose Lage hier, an der ich
nichts als etwa die Einsamkeit zu schätzen weiß, die ich mehr wie
in Berlin genieße.


97. Caroline an Humboldt              Albano, 26. Julius 1809

Kohlrausch *) hat mir von Frankfurt aus geschrieben, noch
immer gleich aufgebracht gegen X. und darüber ganz das
Schöne seiner Lage in Italien übersehend. Ach, er hatte
keine Ursache, ich war ihm sehr gut und erinnerte oft zu seinem
Besten, daß er sich steter angemessener Beschäftigung überlassen
sollte. Aber er hörte nichts mehr. Jetzt wäre gar nicht mit ihm
zu leben, denn das Gefühl, das er haben muß in sich, meine ich,
nicht recht gehandelt zu haben, muß ihn so wurmen, daß er davor
nicht bleiben kann. Er vermag nicht das Unrecht rein zu bereuen,
er will es verteidigen und gerät darüber tiefer hinein. Ach, wer
hat nicht Unrecht im Leben, wissend und unwissend!
           »Wer nie sein Brot mit Tränen aß,
           Wer nie die kummervollen Nächte
           Auf seinem Bette weinend saß,
           Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!
           Ihr führt ins Leben uns hinein,
           Ihr heißt den Armen elend werden,
           Dann überlaßt ihr ihn der Pein,
           Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.« —
Tieferes hat Goethe für mich gar nicht geschrieben. Wohl
dem, der nicht fehlt, und den das Glück über das Irre und Ver-
worrene und schwache Augenblicke hinweghebt, und nach diesem, wohl
dem, der seine Fehler mit Tränen inniger Reue abzuwaschen vermag.

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*) Kohlrausch hatte zum Schluß seines römischen Aufenthaltes ein
tiefes Zerwürfnis mit einem der Humboldtschen Freunde.

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