< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 3 Brief 91:    Humboldt an Caroline    Königsberg, den 29. Junius 1809   ]


vollendet zur Liebe und Bewunderung hinstellt. Er ist ein Ver-
mittler zwischen dem Ewigen und Vergänglichen, und wenn man
je einmal auf die Stufe kommt, ihn rein und ganz von dieser
positiven Seite zu betrachten und des Wahns der Vernichtung los
zu werden, wird er nicht wie ein Zerstörer, sondern wie ein Bruder
des Lebens erscheinen.
Es ist nicht zu sagen, welche Quelle des Glücks und des
Trostes sich plötzlich öffnet, wenn der Mensch von den äußern
Lagen ab zu sich heimkehrt. Aber ich zweifle, daß der Mensch
es recht kann, oder wenigstens, daß er es ohne das Gefühl
der Kraftäußerung dabei, die immer das eigentlich Wohltätige
hinwegnimmt, kann, wenn er nicht weiß, daß ein Wesen durch
Liebe an ihn gekettet ist, daß er zu einem doppelten zurückkehrt,
wenn er sich in sich verschließt. Wem dies wird, der ist allein der
Glückliche, und kann auch eigentlich nur der sein, der alles ohne
Unvollendetheit umfaßt. Das fühle ich beständig, und des freue
ich mich, da der Mensch einmal sinnlich an Tagen hängt, immer
besonders am heutigen.


92. Caroline an Humboldt                Rom, den 5. Julius 1809

Wie glücklich hat es mich gestern gemacht, mein teuerster
Wilhelm, endlich zu wissen, daß Du die Nachricht meiner
glücklichen Entbindung bekommen hast. Den 4. Juni, wo
Du mir schriebst, daß Dir Kohlrauschs erster Brief zugekommen, war
ich alle tre fontane. Diese einsame Gegend hat etwas tief Ergreifendes
für mich. Ich schweife überhaupt noch viel in der Gegend herum.
Wie oft denke ich mir Dich, wie Du in alle Details Deiner
Stelle eingehst — den Lehrern wirst Du wohl freilich hie und da
ein Schrecken sein, dem Kindergeschlecht gewiß ein Trost. Aber die

                                                                       194