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[   Band 3 Brief 91:    Humboldt an Caroline    Königsberg, den 29. Junius 1809   ]


liches Dasein, und ich glaube, es hat nie ein menschlicheres gegeben,
als das Deine, reißt von selbst gleichsam alle Schicksale an sich und
verwebt sie mit sich. Es geht notwendig durch alle Töne der Freude
und des Schmerzes, es umfaßt alle Gefühle und löst sie immer in
reine und idealische Menschheit auf. Es ist, nichts Schönes auf
und nichts Erhabenes über der Erde, zu dem es den Sinn nicht
feiner und stärker macht. Es verbreitet ewig Segen um sich und
lebt fort, selbst wenn es lange nicht mehr da wäre, in dem Geiste,
den es geschaffen oder neu belebt hat. Acht Kinder haben wir nun
in diesen so schnell verflogenen Jahren gehabt und die, welche wir
einigermaßen entwickelt sehen, und ach! sahen, sind und waren un-
leugbar und ohne alles Vorurteil alle von sehr origineller Natur.
Keins wird, dabei bleibe ich, eigentlich Dich wiedergeben, es ist auch
nicht möglich und nicht gut, daß sich zweimal dasselbe darstelle.
Wer wirklich viel in sich ist, bleibt schlechterdings einzig, und darum
ist es so unendlich wichtig, die doch immer flüchtige Erscheinung
recht zu fassen und aufzunehmen. Das ist auch immer mein tiefster
Kummer bei unserer Trennung, wenngleich die eigentliche und be-
ständige Sehnsucht und Wehmut schon aus dem menschlichen und
natürlichen Gefühl entspringt, daß man sich lieb hat und gern bei-
einander ist. Aber in jedem unserer Kinder wird sich ein Charakter
und ein eigener entwickeln, dafür stehe ich, und das ist sehr selten.
Das kann nur sein bei einem solchen Reichtum von Gemüt, als
Du besitzest, und bei einem so herzlichen Streben, dies Gemüt in mich
aufzunehmen und frei walten zu lassen, als ich gewiß habe. Selbst
die beiden so früh hingegangenen Knaben hatten schon eine so be-
stimmte Form, daß man sie sich in einer gewissen Vollendung
denken kann. Denn man muß auch nicht zu viel Böses vom Tode
sagen. Neben dem Schrecklichen des Abschneidens hat er auch
wieder das Schöne, daß er das Edle und Hohe in einem Gemüt
dem flutenden Wechsel der Zeit entreißt und es abgeschlossen und

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