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[ Band 3 Brief 52: Humboldt an Caroline Berlin, 11. März 1809 ]
schön geworden, weil man sie seit langer Zeit nur einzeln, nur ge- sellschaftlich, nur für Individuen bearbeitet hat, aber eben dies hat sie auch weichlich gemacht. Würde sie jetzt auf Ernst und wahren Stil zurückgeführt und dadurch volksmäßig, so bekäme sie wieder mehr Stärke und mehr Nerven und würde auch anders auf den Charakter wirken. Und dazu ist es wirklich nötig, sie nicht auf das Theater zu beschränken, sondern von der Bühne in die Kirche zu führen. Hier im Norden scheint mir dies noch notwendiger. Der Mensch ist hier eigentlich ohne Kunst in öder und jammervoller Armut. Es ist nur so das ewige und unzerstörbare Walten der Menschheit und Gottheit, das die Flamme des Gefühls hier noch erhält und nicht zugleich wild ausschlagen läßt. Und das letztere tut sie doch immer einigermaßen. Das Melancholische, Roman- tische, selbst das Höchste und Beste ist schon ein Hinschwanken zu solcher Disproportion. Darum erregen auch geistige Tiefe und Größe, selbst körperliche Schönheit, wo sie mit Ausdruck verbunden ist, vorzüglich bei Weibern, wenigstens in mir immer zuerst Wehmut, selbst Mitleid. Die schöne, freie Natur ist immer von trübem Himmel gedrückt, von sogar selbsteigenen, oft schwärmerischen Pflichten recht beengt. Dies kann nur die Kunst mildern und zu Schönheit und Glück hinleiten. Aber an bildende ist hier nicht zu denken. Der widerstrebt alles, die muss und kann nur getrieben werden, um die Sehnsucht danach zu wecken und zu erhalten, sonst nicht. Also bleibt allein die musikalische übrig, und sie verträgt sich sogar besser im Grunde mit diesen nordischen Eigentümlichkeiten. Kann man ihr auf eine zweckmäßige Weise Volkstümlichkeit geben, so wird sie die Empfindung läutern und verfeinern, ohne sie zu schwächen. Da Zelter so viel guten Willen hierfür hat, so kann mit ihm auch vieles ohne große Mittel geschehen. Dabei habe ich noch einen anderen Zweck. Ich weiß, man will in Königsberg den 112