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[ Band 3 Brief 29: Humboldt an Caroline Weimar, den 1. Januar 1809 ]
bar, daß ich sie noch einmal trotz aller Wege und allen Schnees besuchte. Ich habe die anderthalb Tage ganz mit ihr zugebracht. Sie war sehr außer sich über meine neue Anstellung. Niemand hat eigentlich so viel Anteil an der Störung unseres römischen Daseins genommen. Sie ist Dir unglaublich gut. Auch über die allgemeinen Verhältnisse ist mir ihr Gespräch stärkend, ich möchte beinah sagen unterrichtend gewesen. Es ist nichts Leidenschaftliches in ihr, alles mäßig, ernst, doch milde und immer recht. Auch ist ihr Betragen in den selbst für sie inneren kritischen Umständen musterhaft. Rudolstadt hat durch seine Abgeschiedenheit sehr wenig von den neueren Ereignissen erfahren. Stell Dir nur vor, daß Fräulein Biela, von der wir in Auleben aßen, und die ich auch wiedergesehen, noch für 4 Groschen die Person zu essen gibt. Es ist eine ordentliche Beruhigung, solchen Ort zu kennen. Hier habe ich Werner *), den Verfasser der »Söhne des Tals«, den ge- schiedenen Mann von Kunths Frau, kennen gelernt, auch sein letztes Stück »Attila« gelesen. Es hat wohl einzelne schöne Stellen, verdient aber nicht einmal, Dir nach Rom geschickt zu werden. Alles ist locker, ohne Motive, nicht reelle Personen, sondern bloß Burattini **). Zuletzt wieder die Sakramente und das mystische Wesen. Gegen das letzte hat Goethe einen Haß, von dem man sich keinen Begriff machen kann, und der arme Werner hat gestern sehr dafür leiden müssen. Er aß bei Goethe, wie er mir erzählt hat, und wollte etwas vorlesen. Obgleich Goethes Frau ihm gesagt hatte, daß das Mystische Goethen unerträglich sei, so ließ er sich beigehn, ein Sonett auf Genua, wo er kürzlich gewesen, vorzu- bringen, in welchem die Scheibe des Vollmonds zur Hostie ge- macht wird. Wie dies Goethe gehört hat, ist er, wie er selbst sagt, ——— *) Zacharias Werner, geb. 1768, † 1823. Dramatischer Dichter, schrieb u. a. die erste Schicksalstragödie »Der 24. Februar«. **) Puppe, Marionette. 60