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[   Band 3 Brief 16:    Humboldt an Caroline    Erfurt, den 30. November  1808   ]


Kindern ist so schön. Den meisten Frauen, ich sah das noch
neulich bei Caroline in Weimar, ist das fremd. Sie wünschten
die Kinder nur da erst sich näher zu bringen, wo sich ihre Kräfte
schon entwickelt haben, und schon Gedanke und Empfindung be-
stimmt sind. Für das stillere, mächtigere, schönere Weben der
Natur im Bereiten und Bilden des Ganzen, wovon Gedanke und
Empfindung nur einzelne und tägliche Erscheinungen sind, haben
sie keinen Sinn, und sind arm, da sie sich nur an das halten, was
sich in Worte fassen läßt. Der gewiß unendlich große und nur
einem weiblichen Gemüt mögliche Genuß, sich als Teil der schaffen-
den, lebendig wirkenden Natur zu fühlen, mit ihr durch das Ge-
fühl des im eigenen Schoße lebendigen und geistigen Werdens,
auf eine dunkle, aber mächtig empfundene Weise zusammenzu-
schmelzen, entgeht ihnen ganz, und wie ihr Gemüt nicht von
Anfang dazu gebildet ist, wie es ihnen bald an Mut, den Schmerz
zu umfassen, bald an Demut sich einem mächtigeren Wirken hin-
zugeben, aber vor allem an der Größe fehlt, die mit beidem
immer in sich frei und selbständig bleibt, so wird ihr Wesen auch
nicht dadurch bereichert. Sie dienen in diesem Zustande nur der
Natur, statt in ihm größer zu sein und es durch ihn zu werden.
Du weißt, beste Li, daß ich mich anfangs selbst sehr vor ihm für
Dich fürchtete. Ach! und wie sollte ich es nicht? Wirklich mehr
als mein Glück, mein ganzes Wesen, das ohne Dich nichts mehr,
von keiner Seite ganz ist, steht auf dem Spiel. Allein jetzt habe
ich hohen Mut. Es geht gewiß alles gut, Du wirst wieder einen
holden Knaben haben und wirst ihn diesmal behalten. Der
Himmel kann nicht ewig so unerbarmend sein. Wenn ich nur zur
rechten Zeit wieder bei Dir sein könnte!
                                               Ewig, ewig Dein! H.

                                                                       34