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[ Band 2 Brief 119: Humboldt an Caroline Rom, 27. November 1804 ]
und Leid in seinem Busen weckt, und jenes immer das Einzelne im Allgemeinen begräbt. Aber zwei Dinge bleiben mir in diesem Streit unumstößlich gewiß. Der Geist, der Gewalt gehabt hat, sich vom Ganzen loszureißen und sich allein zu denken, der bleibt ewig und hört nicht mehr auf, selbständig zu sein; und zwischen ihm und anderen ihm gleichen gibt es keine andere Nähe und Ferne als die innere Verwandtschaft, das Anziehen des Geliebten und das Abstoßen des Gleichgültigen, und auf diesen Grund trägt meine Phantasie mit un- gestörter Sicherheit alle lieblichen Bilder wirklicher Wiedervereinigung auf. So kann auch ich, seit ich der kleinen Louise Tod weiß, sie mir nicht von Wilhelm getrennt denken, er ist ihr vorangegangen, er war so lieb und hübsch mit Adelheid, da er lebte, er ist auch irgendwo mit ihr. Der Tod muß die Abgeschiedenen, wie die Geburt die Lebenden, einander zuführen. Es ist wenigstens die eine mächtige Scheidewand gesunken, die harte Notwendigkeit der Trennung ist gewichen, und die Phantasie schweift in erlaubte Möglichkeiten, wenn auch das Ge- fühl sie nicht und mit einem gewissen, nicht auszusprechenden Be- wußtsein der Wahrheit leitete. Wie oft habe ich das schon ehemals so lebendig gefühlt, wenn ich mir die Möglichkeit Deines Todes dachte. Es ist schwer, an ein so eigentliches persönliches Wieder- sehen und Wiederzusammenkommen zu glauben, aber für den, der wahrhaft liebt, ist schon das dringendste Bedürfnis gestillt, schon ein unermeßlicher Trost gewonnen, nur unter denselben Bedingungen zu sein oder nicht zu sein als der Hingeschiedene. Deine Sehnsucht nach mir hat mich unendlich gerührt. Ja, liebe Li, nur die, von denen das Leben ausgegangen ist, können über den Tod sich besprechen. Kein Laut in Dir kann mir unverständlich, nichts, was ich empfinde, in Dir unerwidert sein. Wie ich Dich immer gekannt habe, so habe ich Dich auch in Deinem Briefe wiedergefunden. Die Tiefe des Schmerzes, die eine ewige Klarheit erhält, und der selbst Ruhe nicht fremd ist, die Ansicht des Lebens, die das Leben mit dem Tode, die 282