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[   Band 2 Brief 119:    Humboldt an Caroline    Rom, 27. November 1804   ]


und sie. Deinen Schmerz, mein inniggeliebtes Leben, fühle ich
innigst. Der Kleinen frohes Gedeihen hätte Dir wieder Mut und
Vertrauen zum Leben gegeben, nun ist auch sie wieder dahin, und
an einem verschiedenen Ort, in einer anderen Erde. Du hast vielleicht
nicht geglaubt, liebe, teure Li, daß ich diesen Verlust so tief fühlen
würde, da ich mich eigentlich nie noch des Besitzes erfreute; aber
es ist so, ich kann es nicht ableugnen. Meine ganze Empfindung
dabei sammelt sich auf Dich, meine Einziggeliebte. O! wer wie ich
Mutterschmerzen und Mutterfreuden kennt, wer sie in dem Wesen
gesehen hat, das immer und ewig, wie Du, das größeste und tiefste
bleibt, wem die Liebe den Sinn erschlossen hat, diese sonst eigentlich
nie ganz erkannten Gefühle auch in sich aufzunehmen, dem ist der
schrecklichste Gedanke bei solchem Verlust: das war nun alles frucht-
los, unwiederbringlich verloren. An die kalte Furchtbarkeit dieses Ge-
dankens grenzt für mich nichts in der Welt, und so fühle ich seit
dem Moment, da mich die Nachricht so schauderhaft überraschte,
ewig und unaufhörlich Deinen Schmerz und Deinen Verlust. Es
ist, als ginge das Schicksal absichtlich so verborgene und geheimnis-
volle Wege, um die Brust in Leid und Freude zu versuchen, um das
Leben zu einem Labyrinthe zu machen, in dem man alle Augenblicke
die Gegenstände um sich her verliert, um seine Heimat nur in sich
selbst zu finden. Es sind unleugbar zwei verschiedene Gesetze, welche
die Welt beherrschen, Leben und Tod und alle Erscheinungen der
Körperwelt schreiten kalt und unerbittlich ihren ewigen Gang fort;
das Gefühl windet sich durch sie hindurch und bildet und stärkt sich
an ihnen und bleibt am Ende Sieger, weil es sich immer unabhängig
zu erhalten vermag. Das einzelne empfindende Wesen muß dem all-
gemeinen lebensuchenden Prinzipe, von dem es doch nur ein einzelner
abgesprungener und heller erglommener Funke ist, weichen, und daher
der ewige unausweichbare Streit des Schicksals mit dem Menschen,
da er nur immer das Einzelne verfolgt, nur das Einzelne Freude

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