< zurück Inhalt vor >
[ Band 2 Brief 111: Humboldt an Caroline Marino, 16. Oktober 1804 ]
nach und nach zu entwickeln. Es ist das das Unsichtbare, was über Tod und Grab hinaus dauert und Geschlechter an Geschlechter reiht und was endlich, denk ich mir immer, so in sich selbst zurück- kehrt, daß man fühlt, daß alles nur eins und nur scheinbar ge- trennt war. Es ist das Höchste, wohin der Mensch gelangen kann, sich eine Gestalt zu geben, die noch außer ihm lebendig fortwirken kann, und das hast Du mehr als irgend jemand besessen. Adieu! 112. Caroline an Humboldt *) [Paris], Sonntag morgen, 21. Oktober 1804 Du ahndest nicht das Schicksal, das uns getroffen hat, mein geliebter Wilhelm, und Dein lieber Brief vom 2., den ich gestern empfangen habe, spricht mir so freundlich Mut ein. Ich soll nicht zu unsicher über die physische Existenz der Kinder werden, sagst Du mir. Ach, als ich die Zeilen las, lag Louise schon in der Ruhe des Grabes. Gott, bin ich bestimmt, sie auf derselben Brust sterben zu sehen, die sie mit so gänzlicher Hingebung und Treue, ach, mit so heißer, sehnender Liebe und heiligen Hoffnungen nährte, und wohin aus meinen Armen, wohin führt sie der gewaltige Tod? Wohin ist nun ihr süßes Lächeln, ihr himmlischer Blick? Ist sie bei Wilhelm —, pflegt er sie und liebkost sie, und freut sie sich des Ge- fundenen, und hat der Tod sie schnell zu einem höheren Verständnis gereift? In der Nacht, die ihrem Tode voranging, hat sie oft, indem ihre Lippen mit Heftigkeit die Brust erfaßten, »Mammam« gesagt — vorher war nichts, was einem artikulierten Laute ähnlich gewesen wäre, von ihr gehört worden. Ach, Du hast sie nicht gesehen, mein geliebtes ——— *) Dieser und der folgende Brief gingen auf verschiedenen Wegen und trafen gleichzeitig am 20. Dezember bei Humboldt ein. 269