< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 2 Brief 111:    Humboldt an Caroline    Marino, 16. Oktober 1804   ]


seine Art. Er hat mit Menschen immer bis jetzt eine sehr gute
gehabt, und an Glück hat es ihm auch nicht gefehlt.
Ich träume jetzt sehr oft von Dir, liebe, teure Li, und das
macht mich sehr glücklich. Diese Nacht fuhren wir beide, aber ohne
Kinder, in Rom den Abend herum. Die Zeit wird ja auch wieder
kommen, und sie wird mir ein neues Geschenk sein. Es ist recht
lange, daß wir getrennt sind, aber Du bist mir nie einen Augen-
blick fern gewesen. Ich weiß nicht, ob Du wohl auch das Gefühl
hast. Wenn man an etwas immer denkt, so kommen manchmal, wenn
gleich selten, Augenblicke, wo man gewahr wird, daß man jetzt nicht
daran gedacht hat, und wo man wie bei etwas Sonderbarem auf-
fährt. So ist es mir in dieser Abwesenheit noch keinmal gegangen.
Der Gedanke an Dich ist mir ewig, anch bei jeder Beschäftigung
vorschwebend geblieben, und er wird es bleiben.
Lebe wohl, ewig teure Li! Umarme die Kinder und grüße
Alexander und Kohlrausch.   H.
Die Li hat neulich einen Brief von der Goltz *) und ein französisches
Lied aus ihrer Kommode von mir gefordert. Ich habe es aufgesucht
und lege es hier bei. Es wird Dich wundern, daß ich es tue, aber
wenn Kinder etwas so ordentlich verlangen, kann ich es nicht leiden,
es so wie einen bloßen Spaß zu behandeln, und der Brief der
armen Goltz sind auch Züge einer Toten, und die nicht glücklich
war im Leben. Ich habe bei dieser Gelegenheit Carolinens ganze
Kommode durchsuchen müssen und wohl eine Stunde zugebracht,
ihre Briefe, Gedichte und Gott weiß was zu lesen. Ihre Verse
sind, wenn man auch sieht, daß sie alle aus dem ewigen Lesen der
Goethischen Lieder entstanden sind, doch immer sehr sonderbar und
die meisten sehr zusammenhängend. Ach! liebe Li, Dein Geist ruht
auf den lieben, holden Mädchen. Erhalte Dich ihnen lang, ihn

———
*) Vgl. S. 166.

                                                                       268