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[   Band 2 Brief 71:    Humboldt an Caroline    Rom, 12. Mai 1804   ]


schaften gehe ich jetzt wenig und oft später, da jetzt alles spät an-
geht. Es ist mein größter Genuß, mir jetzt noch unentbehrlicher,
da ich Dich nicht hier habe, und das kostet mich viel Zeit. Ich
fange meist mit dem Coliseum an. Der Abendstern scheint jetzt
immer so herrlich durch die oberen Bögen herein. Wie es dann
finsterer wird, gehe ich aufs Kapitol und so in die Stadt hinein,
meist beim Pantheon vorbei nach Hause. Jeden Tag sehe ich fast
so dieselbe Stelle wieder, und jeden ist sie mir neu. Die Villa Negroni,
in die ich sonst so oft ging, ist mir jetzt durch die alte Cumberland,
die sie bewohnt, verleidet, aber ich gehe dann dahinter auf den kleinen
Hügel, von dem man alle Gebirge göttlich übersieht. Wenn ich zu
Hause komme, finde ich die kleine Adel schon im Bett und trinke
dann wie gewöhnlich Tee. Hitze haben wir drei Tage lang schon
gut gehabt, 22 1/2 Grad. Indes lebe ich noch im Licht. Es ist
wieder kühler geworden, und man braucht die Sonne noch nicht ganz
auszuschließen. An Theodor schreibe ich heute. Der arme, kleine
Junge, ich dachte nicht, daß er sich soviel aus Briefen machte.
Weißt Du auch, daß die ehemalige Fräulein Goltz, *) die eben
geheiratet hatte, in Wochen gestorben ist? Sie soll sich sehr ge-
quält haben, weil sie sehr ungern gestorben ist. Ihr Vater ist ihr
zwei Tage darauf auch ins Grab gefolgt.
Adieu, liebe, teure Seele, lebe herzlich wohl und umarme die
Kinder. Schreibe doch einmal Kunth. Kommt Burgsdorff nicht
zu Dir? Von Herzen adieu! Dein             H.

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*) Frau v. Wedel, geb. v. Goltz. Vgl. Bd. I.

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