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[   Band 2 Brief 105:    Humboldt an Caroline    Marino, 18. September 1804   ]


heit wird immer größer, daß es auch nun immer so bleiben wird.
Das Gefühl der Größe, das einen hier umwallt, ist von einer un-
beschreiblichen Wirkung. Wenn man einmal diese Stadt, diese
Trümmer, diese einfache und so rein vollendete Natur sieht, was
bleibt da zu wünschen übrig? Ich habe hier alles, was sich wechsel-
weis fordert, die Stille und Schönheit der Natur und die Stille
meines Andenkens an Deine Liebe, an die Kinder, den immer
wiederkehrenden Genuß eines ganzen Lebens mit Dir, die sanfte
Melancholie, die dieser Gegend so eigen ist, und die schmerzliche
Erinnerung an Wilhelm, der ihr nun auf ewig angehört, endlich
die Überreste des Altertums, in dem ich immer am liebsten gelebt
habe und noch lebe! Also denke auch mit Freuden, liebe Li, an
meine Einsamkeit hier. Es ist ein Vorrecht, einer gewissen Art zu
sein, der, in welcher uns unser Zusammenleben gegenseitig bestärkt
hat, immer denselben Grundton in der Seele zu erhalten, wenn er
auch nach Verschiedenheit der Lagen anders und anders ausklingt.
Lebe wohl! Ewig Dein H.


106. Caroline an Humboldt     [Paris], 1. Oktober 1804

Über meine Abreise habe ich folgendes beschlossen. Ist die
Krönung *) den 9. November — einige Leute bezweifeln es
und meinen, sie werde noch aufgeschoben werden ——, so
suche ich sie zu sehen und reise den 12. ab. Ist sie später als den
9. November, so warte ich sie nicht ab, und sobald ich es gewiß
weiß, mache ich meine Anstalten, um zwischen dem 1. und 8. November
abzureisen. Wie innig ich mich freue, Dich, meine Seele, und die
holden, kleinen Mädchen wiederzusehen, ach, das kann ich nicht

———
*) Vgl. S. 251.

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