< zurück Inhalt vor >
[ Band 2 Brief 101: Humboldt an Caroline Marino, 5. September 1804 ]
101. Humboldt an Caroline Marino, 5. September 1804 Es ist ein himmlischer Morgen, teure Li; Rom und der Soracte liegen mit unglaublicher Klarheit vor mir. Wir hatten in den letzten Tagen Augusts und den ersten Septembers eine wirklich größere Hitze als fast vorher, nun sind Gewitter gekommen, und in diesen Frühstunden heute weht eine ordentlich herbstliche Luft. Über den Soracte hinaus blicke ich ins Blaue nach Dir. Da bist Du, da kommst Du wieder her und schenkst mir wieder einen Himmel von Liebe und stillem, ruhigem Dasein. Glaube aber nicht, daß ich mich unglücklich fühlte oder gefühlt hätte. Auch die Einsamkeit hat mir wohlgetan, gerade durchaus allein, mit niemand, mit dem ich nur eine Silbe vertrauten Gefühls hätte wechseln können, habe ich Dich und mich und unsre Kinder und die Natur tiefer empfunden, und mich tiefer in das versenkt, was sich jeder ernster Gesinnte als eine innere, tröstende und be- glückende Heimat bildet. Das freie Herumschweifen auf dem Lande hat mir einen unendlichen Genuß gewährt, und auch künftig werde ich mit Freude auch an diesen Sommer zurückdenken. Ich sage Dir das so frei, liebe, teure Seele, weil ich weiß, daß Du fühlst, wie unendlich mehr und froher ich genieße, wenn ich mich Deiner Nähe erfreuen kann. Aber wahr ist es, solange die Liebe bleibt, solange ich mein Dasein mit Zuversicht denselben Gefühlen vertrauen kann, die es nun so viele Jahre hindurch trugen und hegten, solange ich Dich dabei gesund und auch von Gegenständen umgeben weiß, die Du liebst, so lange kann ich nicht unglücklich sein. Nur die Farben freilich sind anders. Die leichte Heiterkeit, das fröhliche Hineilen der Tage — das alles ist nur da, wo Du bist, mit dem unerschöpf- lichen Schatz ernster und froher, tiefer und leichter Gefühle, mit der ewig sorgenden Liebe. Jetzt schläfst Du gewiß noch mit der kleinen Louise im Arm. Ich freue mich unbegreiflich, sie zu sehen. Schon 239