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[ Band 2 Brief 96: Humboldt an Caroline Marino, 22. August 1804 ]
wüßtest, was mir der Gedanke, daß Du so mutig allein nach Paris gegangen bist und so selbständig dort wohnst, für eine ganz eigene Freude gibt, wie er eigentlich jetzt meine Schwachheit ist, so würdest Du auch fühlen, wie ich ihn sogar gewissermaßen gegen das Ent- behren in Anschlag bringen kann. Wenn ich jetzt auf dem schwarzen Sofa in Rom manchmal Sonnabends beim Kaffee sitze, denke ich, zu welcher Gloire wir doch eigentlich das Humboldtsche Geschlecht gebracht haben. Erst hat es nun Gott weiß wie lange in Hinter- pommern gesessen und nun in Philadelphia, in Paris, in Marino und in Rom. Keiner im Lande, keiner in Berlin und Tegel, und das alles durch den angeborenen und inneren Trieb zu der Land- straße. Dann denke ich mir, wie Du Dich an Paris freust, wie Du darin herumgehst, mir dies und das erzählen, mitbringen, den Kindern Geschenke machen willst. Deine Liebe zu Paris ist eine der hübschesten Sachen in Dir, die ich kenne. Sie zeigt eigentlich die wahre Freiheit und Jugendlichkeit Deines Wesens. Wenige Menschen haben Stärke genug, ohne Kontraste zu lieben. Wenn ihnen die Einsamkeit teuer ist, wenn tiefe Gefühle es sind, so ist ihnen Gewühl ein Ekel und die Bewegung einer bloß leichten und anmutigen Masse aufs mindeste gleichgültig. Du aber fassest die Gegenstände mit Deinem Gefühle da auf, wo die Kontraste sich auflösen, wo der Mensch mit der Welt in reiner Berührung steht und die Höhen und Tiefen der Menschheit keine anderen Schatten werfen, als die nur noch bestimmter und klarer die Umrisse zeigen. Warum, liebe Li, wolltest Du das nicht noch länger genießen? Ein solcher Genuß bildet Ideen und Empfindungen ans, die doch das wahre und eigentliche Leben sind und unleugbar ihre eigene Stimmung, um hervorzukommen, eine eigene Atmosphäre brauchen, um zu gedeihen. Ihnen kann man mit Recht Opfer bringen, und ein solches Opfer ist das Entbehren Deiner lieben, kleinen Mädchen und meiner. Laß Dich also gehn, teure Li, solange Du willst, 229