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[ Band 2 Brief 87: Humboldt an Caroline Marino, 24. Julius 1804 ]
keit. Ich habe in jedem Zeitpunkte meines Lebens wohl immer eine Richtung gehabt, hierin das eigentlich Rechte zu erkennen. Es ist dieselbe Richtung gewesen, die mich an Dich, liebes, teures Wesen, so innig angezogen hat, aber ich habe so manchmal, was ich besser fühlte, mit Raisonnement vermischt, ich begreife erst jetzt ganz, wie man vom Menschen, dem Leben und der Welt nichts wissen kann, was man nicht tief aus seinem eigenen Dasein schöpft oder vielmehr an sich selbst wahr macht. Menschheit und Natur lassen sich nicht begreifen, wie man es nennt; man kann sich ihnen nur lebendig und durch Aneignung nähern. Nur indem man sich die tausendfachen Gestalten ihres Erscheinens aneignet, ahndet man einigermaßen ihre Unendlichkeit oder fühlt vielmehr, daß sie alles und eins sind. Man lernt dadurch auf den Punkt kommen, von dem aus alles Streitende in den einzelnen Gestalten verschwindet und ihre ganze individuelle Kraft doch rein erhalten ist. Nur auf dieser Ansicht ist es möglich, im eigentlichsten Sinne des Worts über dem wirklichen Leben zu schweben und es doch ganz auszufüllen, und es gehört nichts dazu, als eine recht tiefe Verachtung des Irdischen, das ist umgekehrt nichts zu tun, zu denken und zu betrachten, als der Idee wegen und für sie alles zu wagen und zu leiden, und eine womöglich noch ärgere Verachtung alles Phantastischen, das ist alles sogenannten Idealischen, dem keine echte Erfahrung und Wirklichkeit zugrunde liegt, um dahin zu ge- langen. Ist man aber da, so ist man auch auf dem Punkte, wo alle menschlichen Dinge ihre wahre Gestalt behalten und doch nichts mehr Schrecken und Ekel erregt, der Schmerz selbst durch seine bildende Tiefe zu einer fruchtbaren Arbeit des Gemütes wird, wo aus der vollkommenen Übereinstimmung mit sich selbst eine unbesiegbare innere Heiterkeit hervorgeht, und die kalte eiserne Notwendigkeit selbst nur als eine Macht erscheint, an der man sich und sein Schicksal vollendet. Je mehr man dazu lebendige Gestalten in sich vereinigen kann, je kürzer und leichter ist der Weg, und Erfahrung und Dichtung bleiben daher 210