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[ Band 2 Brief 87: Humboldt an Caroline Marino, 24. Julius 1804 ]
geben mir jetzt viel zu tun. Vor einigen Wochen ist hier einer auf die Galeeren verurteilt worden. Das konnte ich nicht hindern, weil er außer andern dummen Streichen auch für England geworben hatte. Indes machte ich, daß er von der öffentlichen Arbeit weg in eine Festung kam. Er hat aber vorgestellt, daß die Gesellschaft und die freie Luft angenehmer wären und arbeitet nun vermutlich am Bogen des Konstantin oder am Zirkus maximus, da an beiden Stellen jetzt gegraben wird. Ganz neuerlich ist einer beschuldigt, Konterbande in Florenz gemacht zu haben; wie das ablaufen wird, weiß ich noch nicht. Schreibereien machen diese Sachen ohne Ende und gerade unangenehme. Aber das Wetter ist himmlisch, die Luft so kühl, daß ich mich kaum noch erinnere, wie es einem ist, wenn man schwitzt oder friert. Von Goethe und Schiller höre ich gar nichts. Beide sind mir, wie Du weißt, Briefe schuldig. Überhaupt habe ich noch in keiner Zeit so in aller Rücksicht vereinzelt gelebt. Ich kann indes nicht sagen, daß ich eine andere Sehnsucht als die nach Dir fühlte. Je weniger ich mich gerade gegen andere äußern kann, destomehr lebe ich in mir. Ich lese sehr viel Dichter und bin tief im Dante. Es ist wunderbar, daß gerade je älter ich werde, ich destomehr eigent- lich Freiheit in meinem Denken und Empfinden gewinne und der Phantasie viel mehr Rechte lasse als ehemals, da ich sehr jung war. Ich fühle erst jetzt recht lebendig, daß sich das Tiefste und Beste, ja so das recht eigentlich Menschliche nur in der erdichteten Gestalt ausdrückt, und daß die höchste Kunst eigentlich darin bestände, seine ganze Ansicht des Lebens in eine Dichtung zu verwandeln, in der doch der ganze Kern der Erfahrung und Wirklichkeit unverloren bliebe. Und eigentlich ist das wohl leicht möglich, aber leichter zu tun als aus- zusprechen. Denn in Erfahrung und Dichtung erscheint uns eigentlich dieselbe Gestalt, die Wahrheit des Daseins, dort in seiner unmittelbar empfundenen Anschaulichkeit, hier in seiner schrankenlosen Unendlich- 209