< zurück      Inhalt      vor >                                          
[   Band 2 Brief 73:    Humboldt an Caroline    Rom, 19. Mai 1804   ]


In Neapel sei nur die eine Aussicht, und der Lärm der Stadt ge-
mein, gar nicht groß, wie in Paris, ein niedriges Treiben und ein
niedriger Markt, alles so wie hier bei Piazza Navona. Sie bleiben
nur acht Tage hier und gehn dann durch die Schweiz nach Hause
und sinken auf immer zu Boden. Nur wir, liebe Li, bleiben immer
in Bewegung, und uns wird die Ruhe nicht eher als im Grabe
ereilen. Die Moltke staunte auch über die Geschwindigkeit Deiner
Reise. Sie ist außer sich darüber, wie man so etwas durchsetzen
kann. In der Tat aber ist es wahr, Du hast Wunder getan.
Nach L’Ariccia will ich gewiß ein paarmal diesen Sommer,
indes nur auf einen Tag. Es hat mich so geschmerzt, liebe Li,
gerade jetzt Dich nicht hier zu haben an den Geburtstagen der
Kinder. So viele süße und wehe Erinnerungen sind mir durch die
Seele gegangen. Ich wußte, daß an demselben Tage auch Du an
nichts anderes dachtest. Dein Bild ist mir ein unendlicher Trost.
Ich sitze oft halbe Stunden davor und sehe es an. Es hat so un-
endlich Deinen eigentümlichsten und tiefsten Charakter, die sanfte
Stille, den gehaltvollen Reiz, die innige, unaussprechliche Mensch-
lichkeit. Es gehört recht viel dazu, das so aufzufassen, und Schick
ist mir noch unendlich lieber dadurch. Du bist wirklich wunderschön
darin und buchstäblich wahr, es ist nicht jünger, es ist nicht reizender,
es ist gerade nur, wie Du bist. Auch spricht es alle Menschen an.
Ich habe jetzt eine grüne Gardine davor machen lassen, und es bleibt
immer zu, weil es mir meist lieber wäre, die Menschen sähen es
nicht. Aber jeder macht es auf, auch die es wer weiß wie oft ge-
sehen. Die Bachantin steht jetzt in der roten Stube, und auf dem
Bureau Wilhelms Büste. Sie muß doch sehr ähnlich sein, weil
jeder sie erkennt, ich selbst gewöhne mich, sein Gesicht, wie ich es
in der Phantasie habe, auf sie zu übertragen. Allein lieb ist und
wird sie mir nicht. Es ist die hölzerne, nicht die schöne Ähnlichkeit.
Ich habe neulich einen Traum gehabt, der ihn mir lebendiger wieder-

                                                                       170