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[   Band 2 Brief 58:    Humboldt an Caroline    Rom, 24. März 1804   ]


einer andern, und dann hätte ich gern die Pythische nach und nach
vollendet. Darum wählte ich sie. Ich werde sehen, ob ich fortfahre.
Indes fühle ich lebhaft den Unterschied zwischen ehemals und jetzt.
Es sind nicht eben die Gefühle, welche die Stimmung weniger günstig
machen, nicht die gezwungenen Zerstreuungen. Aber wie ich ehemals
übersetzte in den ersten Jahren unserer Heirat, in einem so stillen, so
einsamen Zusammenleben, noch durch wenig äußere Sorgen zerstreut,
und das reine Glück noch durch gar kein widriges Schicksal getrübt,
auch so ewig nur mit denselben einfachen Lauten der Alten lebend,
war es leichter, sich auf ihrer Höhe, in ihrer Welt zu erhalten. Jetzt
könnte ich es vielleicht gar nicht mehr, wenn nicht die lebhafte, fast
vergegenwärtigende Erinnerung jener Zeit hinzukäme, die mir immer
die liebste meines Lebens bleiben wird, obgleich ich gewiß auch mit
den folgenden zufrieden war und es mit der jetzigen bin. Auch ist es
mir sehr klar, daß ich hier in Rom wieder sehr in jene Stimmung
zurückkehren würde, ich habe eine tiefere Sehnsucht nach meinen
ehemaligen Beschäftigungen, und ich überlasse mich ihr und habe
viel Griechisch in den letzten Wochen gelesen. Es ist und bleibt
einmal wahr, daß nichts im Leben gedeiht, wenn das Herz nicht
eine gewisse innere Wärme und der Geist eine heimliche, einsame
Tiefe behält, in der er sich nur mit wenigen, ja mit sich selbst
nur in seinen besten Momenten versteht. Es ist das das innere,
freiwillige Wirken der ursprünglichen Charakterkraft, die aus der
ganzen Erfahrung des Lebens schöpft, aber ohne die auch die
reichste tot und alles Wissen leerer Buchstabe ist. Es ist das
einzige, wodurch der Mensch mit etwas Höherem zusammenhängt
und woran man die erkennt, mit denen es möglich ist, auch nur
ungefähr zu sympathisieren.
In Dir, mein liebes Gutes, ist es wunderstark und wunder-
lebendig, Jahre und Unglück selbst haben es nicht geschwächt, es ist
das heilige Feuer, womit Du das bessere Leben in mir erhältst, in

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