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[ Band 2 Brief 44: Humboldt an Caroline Durango, zwischen Vitoria und Bilbao, 9. Mai 1801 ]
Vegetation mit durchaus nackten Klippen geben kann scheinen hier auf einmal erschöpft. Bald ist es ein schöner Eichwald an einer steilen Anhöhe, über dem der Fels hervorragt, bald läuft eine schattige Allee zwischen zwei nackten Wänden hin, bald drängt sich ein freundliches Ackerstück in beträchtlicher Höhe zwischen zwei in eine spitze Ecke zusammenlaufenden Felsen ein. Der Fleiß des Landmanns macht der unwirtbaren Klippe die letzte Handvoll Erde streitig, und die Fels- wand scheint die natürliche Mauer der kleinen Besitzung. Und dann die hundertfachen Gestalten, welche mit jeder neuen Änderung des Weges der mittlere inselförmige Fels bildet. Unzugänglich an allen Seiten wie es scheint, zeigt er überall schroffe, mit keinem Gesträuch überkleidete Wände und ist um so schöner, als er lauter große Massen hat und in einfacher Größe pyramidalisch zuläuft. Am Ende des Abhanges liegt ein kleines Dorf, reizender und malerischer, als es die Beschreibung schildern kann. Rings von diesen entsetzlichen Felsklippen umschlossen, ist es doch lachend und freundlich; denn die Anhöhe geht erst gemach bis an jene Wände heran, und so- lange nur noch einige Zoll Erde den unfruchtbaren Stein bedecken, sieht man Wiesen und Äcker und Gebüsche, alles sorgsam gepflegt und mit lebendigen Hecken umgeben. Alle biskayschen Dörfer in diesem inneren Teile des Landes sind nur ein paar Häuser um die Kirche herum. Von da aus oft einige Stunden in der Runde liegen einzelne Häuser (caserios), die alten Stammsitze des Landes, die zu diesen Kirchen, zu denen sie oft weit zu gehen haben, eingepfarrt sind. In diesen einzelnen Häusern wohnen die Landleute, die ältesten Bewohner des Landes, die sich für die am meisten adligen halten, sich darum noch jetzt Infanzonen *) im Gegensatz mit den Städtern nennen, die, obgleich abstammend von ihnen, sich in die Täler heruntergezogen haben, eine reichlichere ——— *) Edelmann. 97