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[ Band 2 Brief 44: Humboldt an Caroline Durango, zwischen Vitoria und Bilbao, 9. Mai 1801 ]
und Kälte. Überhaupt sind es bloße Fabeln, wenn man sagt daß der Mai in Spanien heiß ist. Ein Teil des Weges war überaus schön und war es noch mehr durch den Nebel und das ewige Jagen der Wolken. Wir ritten langsam einen Berg hinan und hatten nur einige dicht mit Gebüsch bewachsene Hügel zur Seite. Wir sprachen gerade davon, daß unser Führer uns erzählte, daß dies ein pasage de ladrones *) sei, und achteten nicht auf die Gegend. Wir sahen wohl einige Felskuppen über die niedrigeren Hügel herüberblicken, aber wir erwarteten nichts sehr Schönes oder sehr Großes. Wie erstaunten wir aber, als auf einmal, da wir die höchste Höhe erreicht hatten, die ungeheuren Felsen in den malerischsten Gestalten vor uns standen. Eine finstere Wand, steil wie eine Mauer und nur mit unzähligen Rissen durchfurcht, erstreckt sich an der rechten Hand ins Tal hinein. Gerade vor uns stand eine Pyramide von bloßen Klippen aufgetürmt, zu deren beiden Seiten sowie zu den Füßen eines mächtigen Vor- gebirges sich zwei fruchtbare, reichbebaute Täler herabsenkten, die das Auge wieder bis zu den entfernten Gebirgen hin verfolgte, die sie am Horizont begrenzten, und zur Rechten ging dann die steile Fels- wand nur in verschiedenen Abteilungen fort, und ihre Spitze hatte ein rundes, schöngeformtes Haupt, auf dem eine schwere und finstere Nebeldecke lag. Man nennt dies Gebirge S. Antonio de Urquiola. Nichts kann zugleich größer und sonderbarer sein. Wie eine furchtbare Scheidewand steht es von der Ebene weg, und es ist, als hätte eine ungeheure Wasserflut dagegen angestürmt, sich an einer vorragenden Spitze gebrochen und sich nun zwei Wege da gebahnt, wo sich die benachbarten Gründe herabsenken, aber ein entsetzliches Vorgebirge von Fels zwischen sich gelassen. Die sehr gute Chaussee schlängelt sich wohl eine Stunde Weges um den mittelsten Felsen herum langsam die Höhe herunter, und alle Abwechselungen, welche eine wunderschöne ——— *) Räuberpfad. 96