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[ Band 2 Brief 42: Humboldt an Caroline S. Sebastian, 30. April 1801 ]
ein freies und ein eignes Leben schafft, ist in niemand so zart und innig. Wer Dich nicht von dieser Seite faßt, begreift nie eigent- lich Dich. Was man nur in Dir erblicken mag, selbst die kleinen Fehler, die jedem anhängen, entspringen immer daher, und gerade weil ich Dich immer so denke, immer so empfinde, weil Du selbst mich mit dem Gefühl, das unmittelbar aus dieser Stimmung hervor- quillt, liebst, bist Du mir das Band, was in meiner Seele alle Empfindungen, woher sie auch stammen mögen, verbindet. Darum wirst Du noch sehr lange eine so reizende und blühende Jugend bewahren, darum hattest Du schon in früherem Alter eine Reife, die man sonst nicht antrifft. Der Wechsel im Alter ist nichts, wenn man, wie in der Natur, die Blume sich aus der Knospe, die Frucht aus der Blume entfalten sieht, wenn es nur derselbe, immer gleich rege Lebenstrieb ist, der sich in diese verschiedenen Hüllen kleidet. Daß es das ist, was mich schon im bloßen Gedanken an Dich so glücklich macht, weiß ich; sollte ich auch wissen wie, müßte ich die wunderbaren Verbindungen von Gefühlen, die neuen Sinne ent- rätseln können, die das innige Verstehen der Liebe gibt. Derselbe Geist, denk ich, soll auf unseren Kindern ruhen. Aus einer so vollen Liebe entsprungen, von Dir mit dieser Innigkeit gepflegt und genährt, können sie Dir nicht unähnlich sein. Die kleine Li ist mir selbst noch sehr rätselhaft, aber ihr verschlossenes Wesen birgt, hoffe ich, eine Tiefe des Gefühls, die sie Dir gleich machen wird. Mit dem Griechischen quäle Dich ja nicht. Übersetze bloß mit den Kindern und frage sie die Wörter, die vorkommen und die sie wissen können. Alle Grammatik laß ja. Es ist genug, daß sie sich im Lesen üben, die Töne immerfort hören, ihre Wörter nicht vergessen und einige neue lernen. Es ist ja auch nicht nötig, daß Du die Übersetzungen aufschreibst. Mit den Basken geht es göttlich. Stell Dir nur vor. Ich habe ein Fragment eines alten Triumphliedes 89