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[ Band 2 Brief 29: Caroline an Humboldt Jena, 8. Mai 1797 ]
wissen nicht, wie sie zu den Dingen kommen, wie sie in diese und jene Lage geworfen werden, aber wem die höchste Klarheit über sich selbst zum Bedürfnis des Lebens gehört, der erkennt, welcher Wider- spruch, welcher Abgrund in dem Busen des edelsten menschlichen Wesens verborgen liegt. Ach, wie fällt mir immer und immer das Lied des armen Harfners ein: »Wer nie sein Brod mit Tränen aß«, um der Stelle willen: »Ihr stoßt ins Leben uns hinein, Ihr laßt den Armen schuldig werden, Dann überlaßt ihr ihn der Pein, Denn alle Schuld rächt sich auf Erden.« Die gute Levi, ich glaube wohl, daß es ihr leid tut, das Haus einreißen zu sehen. Ich las einmal in einem französischen Roman: On croit que cela ne fait rien de toucher aux pierres, mais cela fait beaucoup, le coeur ne sait plus ou se placer. Grüße die Levi tausendmal von mir, ich schreibe ihr, sobald ich wieder allein bin, jetzt wahrlich summt es in meiner Stube, wie wenn ein Bienenschwarm drinnen wäre. Das Bild kam Sonnabend abend. Es spricht mit Papa um die Wette, und Papa ärgert sich wie immer, daß es ihm den Rang abspricht. Aber das Bild ist doch merkwürdig, so un- alternd, so ewig dasselbe ist mir noch nie etwas vorgekommen. Auch Schiller bewundert es. Wir waren gestern alle bei ihm im Garten. Er ist recht fröhlich und wohl und fühlt den wohltätigsten Einfluß von dem Leben im Freien. Ob es dauern wird oder ob es nur die Neuheit ist, bin ich begierig zu wissen. Goethe wird den 15. her- kommen und denkt dann einige Wochen hier zu bleiben. Die Kinder grüßen den lieben, lieben Vater und schreiben ihm. Sie haben sich sehr über die Briefchen gefreut. Theodor ist wohl, ißt mit vielem Appetit und hat —— ach! — die Brust der Mutter schon vergessen. Mich freut’s und schmerzt’s. Mich freut es um das Kind, und doch wenn ich es darauf ansehe, so fühle ich mich so wehmütig und kann mich der 53