< zurück Inhalt vor >
[ Band 1 Brief 155: Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag, 19. Mai 1791 ]
155. Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag, 19. Mai 1791 Ich denke Dich ewig, an Mamas, an Alexanders Seite, in größern Gesellschaften, allein und unter Menschen, mitten im Kreis Deiner Beschäftigungen, ewig mit Deiner Li. Deine Seele scheidet nicht von ihr, Deines Wesens bester Teil hat mich nicht verlassen — ach, aber wie tief fühl ich den Schmerz, die süße Wiederholung dieser einzigen Gefühle nicht mehr in jedem Moment zu empfangen, sie nicht mehr zu nehmen von den holden Lippen in unendlichen Küssen, nicht mehr von den teuren Augen, wenn sie so freundlich mir winkten. Tage der Wonne, wo seid ihr hin! — O, es ist nicht genug, zu wissen, daß ihr waret, daß ihr wiederkehren werdet, um glücklich zu sein — ich entbehre euch ja doch, entbehre, was einzig meinem Wesen Vollendung, meinem Geist Leben und Klarheit gibt, das Gefühl Deines Glücks — das selige Anschauen Deines befriedigten Herzens. Nein, Wilhelm, ich bin nicht ungenügsam, aber Deine Nähe ist mein Dasein, Dein Glück die einzige Wonne, für die ich empfänglich bin, und wie das Gefühl mich begleitet in jedem bei Dir verlebten Moment, mit welcher schönen Einheit! — Überall das Wesen allwaltender Schön- heit, überall die volle, tiefe Empfindung Deines zarten, heiligen Wesens, und in mir ein unendlich Verlangen, ihm zu begegnen in jeder Gestalt, ach, laß es mich sagen, Wilhelm, so eine unerschütter- liche Gewißheit, daß der Augenblick, wo ich Dich nicht mehr ver- stünde, mich auch zerstörte, wie Du dem zerschlagenen Instrument keinen der Töne mehr ablockst, die Dich bezauberten, so ewig meinem Wesen keinen Laut, wenn es sich nicht in das Deine verschmolzen fühlte. — O, es ist einzig und füllt die Seele mit nie geahndeten Gefühlen, so nur gebunden zu sein an ein Wesen und durch dies Wesen allein an die weite Schöpfung und an jedes Dasein, das der ewig rege Geist nur in Momenten des kühnsten Aufflugs ahndet. 463