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[   Band 1 Brief 124:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Sonntag abend, 6. Februar 1791   ]


anders. Es ist traurig, aber es ist gewiß wahr, nur große Seelen
werden andern nie drückend, leises Gefühl und Grazie begleiten sie
überall, andre wollen regiert sein und fügen sich am leichtesten der
Notwendigkeit.
Heute war der Pfarrer bei uns, bei dem wir eintraten auf
dem Rückwege von Rudolstadt, der Vater des stummen Wilhelm.
Ich hatte ihn nicht gesehen seit der Reise. Die drei, fast dreiein-
halb seitdem verflossenen Monate kamen mir so lebhaft in die Ge-
danken und gaben mir eine so unaussprechliche Freude. Der
Pfarrer ist ein so guter Mann, der einen sonderbar warmen An-
teil an mir nimmt. Er war hereingekommen, weil ich ihm im
Oktober gesagt hatte, mein Bräutigam würde im Februar kommen.
Er hat sich im Kopf gesetzt, Dich zu sehen, und wenn Du wüßtest,
wie er Dich nennt, sähe ich Dich gewiß lächeln. Wie er nun heute
hörte, daß Du vor dem April nicht kommen könntest, wünschte er
mir und Dir beim Weggehn viel Geduld. Ich hätte den alten
Mann küssen mögen, denn er schlug mir vor, wenn Du da wärst,
eine Spazierfahrt zu ihm zu machen. Er wollte uns dann trauen,
sagte er, das lange Zögern hülfe doch zu nichts, und Papa müßte
dann auch schon zufrieden sein.
O Gott, bald bist Du mein, und wie! In einer Lage, in der
Du Dir und Deinen liebsten, eigensten Ideen ganz leben kannst.
Welche neue Seelengestalten, die wir noch nicht ahnden, werden
uns ausgehen, welche Fülle des Segens muß aus solch einem
Dasein auch auf andre ausströmen. Mein einzig Geliebter, o, fasse
Mut! Laß mich Deine Seele halten, trage erbarmend mein Herz
— bald sind wir auf ewig vereint.

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