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[ Band 1 Brief 119: Humboldt an Caroline [Berlin], 22. Januar 1791 ]
liebten in die Seele, das nicht immer in jedem Zuge getreu ist. Manchmal kam’s mir so vor mit Schiller. Sie nimmt mehr den andern aus ihm selbst heraus, als daß sie tief in ihn eingeht und in ihm verweilt. So möcht ich’s ausdrücken, obgleich diese Wahr- nehmungen eigentlich jedem Ausdruck entschlüpfen. Daraus erkläre ich mir auch besser, was sie mir einmal selbst sagte, daß ihr Ge- fühl nicht selten wechselt. Mir ist’s, als müßte sie bei ihrer Art, zu sein, weniger innig fühlen, wie eigen sie dem andern, wie eigen er ihr ist. Sie liebt mehr die Schönheit, die sie in ihm erblickt und aus ihm schöpft, als ihn selbst. Wie richtig nun auch das Bild ist, das sie von ihm in sich trägt — denn ich glaube nicht, daß sie jetzt noch sich zu täuschen fähig ist — so ist es immer mehr nur Bild, und sie lebt mehr im Bilde, als in ihm. Ihre Gefühle sind, glaub ich, zu schnell und zu lebhaft, um langsam in den andern zu dringen, um zwischen ihm und sich jede Idee, jedes Ge- fühl, jeden Genuß und jede Kraft so innig zu gatten. So ist’s in Dir, damit beseligt Deine Liebe, wie ich nie ahndete, daß Liebe zu beseligen vermöchte. Es ist so Dein ganzes Ich ganz verschmolzen in den Gegenstand Deiner Liebe. Und das gerade war nun die Seligkeit, für die allein die Natur mir vollen Sinn, für die sie mir die meiste Kraft, ebenso wieder zu beglücken, verlieh. Ver- stehst Du es nun, wenn ich in Erfurt Dir sagte, ich hätte mit Lili nicht glücklich sein können wie mit Dir? O! wie so wahr fühlt ich schon damals, daß nur an Deinem Busen die Stätte meiner Ruhe sei! Und wie fern war Dir das Bewußtsein dieses Gefühls, wie fern mir das Bewußtsein, daß auch Du nur mit mir glücklich sein konntest! Ohne die Tage in Weimar, was wäre aus uns geworden, Li? Es wäre eine Zeit gekommen, wo wir uns mit dem Blicke der Wahrheit gesehen hätten, aber wann? Und was hätten indes wir gelitten. Es ist spät, Li, laß mich jetzt ruhen. — 374