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[ Band 1 Brief 114: Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch mittag, 5. Januar 1791 ]
114. Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch mittag, 5. Januar 1791 Ich durchstrich einen großen Teil der vorigen Nacht die Straßen mit einem Menschen, der mir anfängt, recht lieb zu werden. Er heißt Gentz *) und ist auch hier in Ge- schäften angestellt. Er hat wirklich einen tief eindringenden Ver- stand und viel Wärme des Gefühls, nur wenig Grazie, wenig ästhetischen Sinn überhaupt, und im Charakter nicht hinlängliche Geschmeidigkeit, aber auch, ob er gleich einige Jahre älter als ich ist — so viel eigentlich Jugendliches noch, daß es einen freut. Er hat vieles in mir so wahr aufgefaßt und hängt mit so einer Achtung und Wärme an mir, daß mir schon das ihn wert macht, ihn solcher Empfindungen fähig zu sehen. Dabei weiß er viel Astro- nomie, und da geh ich jetzt oft mit ihm herum. Werde zwar nie Astronomie lernen, weiß auch die ersten Elemente nicht, aber möchte doch gern die Sternbilder kennen, um sie Li zu zeigen, und da kenne ich schon recht viele. — Ein Moment diese Nacht war so schön. Eine beträchtlich große Feuerkugel sank am mittäglichen Himmel herab. Diese Phänomene erfüllen mich immer mit so bangem Schaudern und einer Wehmut, wenn ich sie verlöschen sehe. Doch war’s die vorige Nacht nicht ganz so in mir. »Wohl Dir, daß Du so leuchtetest,« sagt ich mir, »wenn Dein Glanz nun auch verlischt!« und oft wiederholt ich nachher mir die Worte. O! Li, gern, gern wollte ich hingeben alles Dasein für eine, eine so glückliche Zeit, verlebt mit Dir. Ob sie uns je werden wird, so eine ganz glückliche, durch nichts gestörte Zeit, so eine Zeit, wo wir jeder allein dem andern leben können? O! laß uns streben, jede Fessel zu entfernen. Ich sehne mich so innig, Dich ganz zu beglücken, mein ganzes Wesen Dir hinzugeben, Dir allein jede Minute meines Daseins zu weihen . . . . ——— *) Friedrich v. Gentz, bekannter hochbegabter Publizist und Staatsmann, damals in preußischem Staatsdienst. 354