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[ Band 1 Brief 111: Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch nachmittag, 22. Dezember 1790 ]
Freitag abend . . . Lang fühlt ich es, daß, um ganz Dich zu beglücken, um ganz zu empfangen, was so unendlich schön in Dir für mich der Zukunft entgegenblüht, ich freier existieren muß und ungebunden. Aber gern gesteh ich Dir auch, nicht immer war’s eben so in mir, Neigung zwar fühlte ich nie, aber in den früheren Jahren dacht ich mir immer, man müßte doch etwas für andere tun, etwas unternehmen, das ihnen nützlich wäre. Freilich wußt ich nun wohl, daß man das auch könnte bei einer andren Art zu leben. Indes, dazu gehört mehr Genie, wenigstens eine außerordentliche Kraft, und die, sah ich wohl, war nicht in mir, da wählt ich, wahrlich mit reifer Überlegung, diesen Weg, weil ich gewiß war, auch mit mittelmäßigen Talenten und mit Fleiß und Ordnung könnte man da nützlich wirksam sein. Ein paar Jahre hindurch leitete mich ganz diese Idee. Ich studierte bloß beinah und allein, was ich dazu brauchen konnte, ich gewöhnte mich an die strengste Ordnung, den sklavischsten Fleiß. Noch zu der Zeit, wie ich mit Alexander hier zusammen war, sah ich in ihm nun das alles anders. Er trieb, wozu er Neigung hatte, aber er hatte nur innere Neigung zu den Dingen, die den Kopf edel und schön beschäftigen, er räsonnierte so fein und durch keine Rücksicht gebunden und lebte, mit einem Wort, in zehnfach größerer innerer Freiheit. Ich freute mich des Anblicks, ich sah das wirklich große Genie — Du verstehst hier das Wort, wie ich’s nehme — in ihm, ich ahndete, sein Kreis würde größer und mit höherer Energie ausgefüllt sein. Allein mich machte das nie irre, selbst meines Bruders Spott hatte die Wirkung nicht, ob ich wohl sah, wie er mich an leichtem, schnellem Ideen- gang weit überflügelte. Ich wählte die sichrere Laufbahn und ging ohne Änderung fort. Auch die Art der Geschäfte wählt ich mir nach dieser Idee. Auch in der Dienstlaufbahn meines Bruders erfordern die Arbeiten, sobald man in höheren Posten ist, mehr 343