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[ Band 1 Brief 111: Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch nachmittag, 22. Dezember 1790 ]
111. Humboldt an Caroline [Berlin], Mittwoch nachmittag, 22. Dezember 1790 Wie ich zum erstenmal in Erfurt bei Dir war, da lauscht ich so auf jedes Wort, was Du sagtest, und wenn ich’s übereinstimmend fand mit mir, dann war’s ein Beweis seiner Wahrheit, und wo das nicht war, da behielt ich’s so sorg- fältig und bewahrt es als ein Heiligtum, das ich noch nicht zu durchschauen reif war. Überhaupt wandelt ich so kindlich im Schatten Deiner Größe und blickte auf zu Dir und fühlte, wie Du mich bildetest und heraufhobst zu Dir. Wenn ich mich auch denke, wie ich war, als ich Berlin verließ, und wie ich jetzt bin, und wenn ich die Periode betrachte, da ich anders ward, in tausend einzelnen Ideen, Empfindungen, könnt ich Dir sagen, was Du in mir wecktest. Ach! führe ferner sorgsam Dein Kind, trag es am Herzen, laß ihn das unendliche Glück genießen, von Deiner sorgsamen Liebe genährt, gepflegt sich zu sehen. Sein emporstrebendes Wesen wird Dich mit Freude erfüllen und der kindliche Blick der dankenden Liebe Dir Entzücken ins Herz flößen! — O, Li, so allein fühl ich mich so ganz, so selig ruhig, so getragen, gehalten von Dir in der schwindelnden Höhe, Deine Liebe zu besitzen. — O, wir waren nur füreinander ge- schaffen, Li, und ewig, ewig wirst Du mein sein. Du mein? Du mit dieser strahlenden Schönheit mein? Was bin ich, daß mir dies ward? Donnerstag abend Mein Bruder geht mir seit ein paar Tagen sehr durch den Kopf. Ich besorgte lang, er wäre nicht ganz, wie es seiner wert ist, zu sein, und gerade in diesen Tagen bestätigte sich manches. Ich weiß nicht, ob Du’s auch seinen Briefen angemerkt hast, aber mir kam’s schon lang vor, als verführte ihn manche kleine Eitelkeit, vorzüglich aber die, Menschen bei ihren Schwachheiten leiten zu können. Darin setzt er großenteils seine Menschenkenntnis, seinen Ruhm und sein doch wahrlich sehr herzloses Vergnügen. Es tut 341