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[   Band 1 Brief 109:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Donnerstag, 16. Dezember 1790, abends 11 Uhr   ]


Vielleicht — ich habe auch Augenblicke wo es mir geht wie Dir
— wo ich denke, die Art, wie Carl dies und jenes ansieht, wie er
sich behandelt, ist doch wohl besser und zweckmäßiger — vielleicht
sollte ich es mir mehr sein. Aber dann sag ich mir auch wieder,
wer immer einer Stütze bedarf, um zu gehen, immer auf etwas
Äußeres vertraut, der wird zwar vielleicht nie fallen, aber er wird
auch nie einen kühnen, sicheren Gang haben, und wer am inneren
Vertrauen seiner Kraft verliert, verliert auch an innerem Gehalt.
Es ist doch auch viel wert, den unbetretenen, eignen Weg zu gehen.
O, wie ergriffen mich immer die Zeilen im Goethe:
         »Sorglos über die Fläche weg,
         Wo vom kühnsten Wager die Bahn
         Dir nicht vorgegraben du siehst,
         Mache dir selber Bahn!
         Stille, mein Herz,
         Kracht’s gleich, bricht’s doch nicht!
         Bricht’s gleich, bricht’s nicht mit dir.«
Mit Goethen möcht ich viel leben. Er hat für mich etwas
sehr Anziehendes, so eine Geistes- und Herzensverschwebung ist sein
ganzes Wesen. Aber dann kann er auch wieder wunderbar sein,
drückend und leer, wenn er spricht, da, wo er glaubt, sprechen zu
müssen. So ging es mir mit ihm, als er vor einigen Wochen mit
der Herzogin *) hier war. Er ging mir fast nicht von der Seite,
sprach so offen, so geistvoll und herzlich, aber wenn ein Dritter
dazu kam, sprach er das fadeste Zeug, das man denken mag. Lili
schrieb mir einmal, es sei schmerzlich, ein Wesen wie Goethe auch
für Momente nur bloß dulden zu können. Und so ist’s. Die
Weimaraner plagen und verschrauben ihn auch. Was für ein Lärm
über das Kind **) ist, ist unglaublich. Die regierende Herzogin ***)

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*) Herzogin-Mutter von Sachsen-Weimar, Anna Amalie. 
**) Goethes am 25. Dezember 1789 geborener Sohn August. 
***) Luise, Gemahlin Karl Augusts.

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