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[ Band 1 Brief 105: Caroline an Humboldt [Erfurt], Donnerstag abend, 9. Dezember 1790 ]
Du, jeden Moment meines Daseins weihend, jeden empfangend, mein Wesen durch Dich zu seiner höchsten Schönheit aufblühen sehen wirst, dann wirst Du fühlen, was Du bist durch das, was Du hervorbrachtest, o, dann will ich still vor Dir hinknieen, und meine wonnevollen Tränen werden Dir genügender Dank sein. Ich erröte jetzt so oft, wenn ich sehe, wie unverdient Du mich er- hebst, aber in Momenten, wo ich allein Deiner nicht ganz unwert bin, meß ich die Höhe und fühle, getragen von Deiner Liebe, den Mut, sie zu ersteigen. O, nur an Deinem Herzen, in den Strahlen Deines Geistes laß mich leben, und was Menschen zu erreichen und zu geben vermögen, soll mein werden, soll meine Liebe Dir geben, Du nie ausgesprochenes, heiliges Wesen. — Ich brach gestern von einem Sujet ab, über das ich mich mit Dir ausreden muß, mein Bill, denn es ist mir zu wichtig. Unsre ganze künftige Existenz! — was läge mir auch so am Herzen? — Daß wir mit unsren jetzigen Einkünften auskommen können, läßt sich gar nicht bezweifeln. Wir haben ja auch in den ersten drei, vier Jahren, wo Du in Halberstadt oder Magdeburg angestellt wärst, nichts mehr, als woraus wir jetzt rechnen können. Überdem wäre es immer wohlfeiler leben in Rudolstadt oder hier als im Preußischen. Du darfst mir schon darüber trauen, weil ich mich in der Tat genug kenne, um gewiß zu sein, daß ich gar keine romantischen Ideen über diesen Punkt habe. Meine Ökonomie ist erstaunend einfach, und mir deucht, sie begegnet sich sehr mit der Deinen. Mit so kleinlichem Geiste über jeden Pfennig zu wachen, wird uns nie gegeben sein, aber unsre Bedürfnisse sind geringer und darum nicht schwer zu befriedigen. Die Idee des Reichtums an sich ist eine Chimäre, denn irgendwo müssen doch die Bedürf- nisse der Einbildung beschränkt sein. Wenn wir Kinder hätten? — Ich sehe noch nicht recht ein, daß die armen Geschöpfe so ein ent- setzliches Geld kosten sollen. In den Jahren, wo das der Fall ist, 315