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[ Band 1 Brief 101: Caroline an Humboldt [Erfurt], 2. Dezember 1790, abends ]
— aber die Gefühle unsrer Liebe, lebten sie auch schon in einem menschlichen Wesen? — . . Ich werde Dir morgen früh nichts mehr sagen können, darum lebe wohl — ich kann nicht sagen, heiter. Mein Wilhelm, aller Segen der Liebe sei mit Deinem Leben, wie es ewig meine Seele ist. 102. Humboldt an Caroline [Berlin], Sonnabend mittag, 4. Dezember 1790 Was mich noch so in Deiner Erzählung gefreut hat, ist, daß Du Dich immer so gehn lässest, wie Du bist. Das ist allein das Kennzeichen der wahren Größe, dies Vertrauen auf das innere Wesen. Daran erkannt ich Dich zuerst, und daran unterschied ich Dich von allen, die meinem Herzen auch nah waren. Nur in Dir fand ich eine so ungebundene Freiheit, und dennoch sah ich Dich immer in so entzückender Harmonie mit allem, was Dich umgab. Aber die unendliche Güte und Milde in Dir führt Dich allen auch noch so ungleichen Wesen wieder näher, und ohne es zu wollen, wirst Du allen wohltätig. Ich kann Dich nicht aus- sprechen, Li, und wer auf Erden vermag es, aber ich habe Dich aufgefaßt in aller der unendlichen Schönheit Deiner großen Seele, und glühend steht Dein Bild in meinem liebenden Herzen. Sonst dacht ich oft, auch unerwiderte Liebe müsse so wunderbar beglücken, weil man doch das Bild des Geliebten im stillen Busen trüge. Jetzt ist mir’s viel anders. Sein Bild trüge man. Ach! ein Schatten ist’s des Bildes, ohne Glut der Farben, ohne Feinheit der Züge. Um das wahre Bild in sich aufzunehmen, bedarf es der Begeisterung der Liebe. Ohne sie vermöchte ich Dich nicht so zu denken. 304