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[ Band 1 Brief 101: Caroline an Humboldt [Erfurt], 2. Dezember 1790, abends ]
100. Humboldt an Caroline [Berlin], Montag abend [29. November 1790] Ich bin so erschöpft, Li. Die Gesellschaft dauerte so lang, und das Spiel hat mich so leer gemacht. Auch habe ich keinen Brief von Dir gefunden. Den krieg ich nun morgen. Verzeih, wenn ich Dir heute nur zwei Worte sage. Es war so trübe heute abend draußen. Konnte keinen Stern sehen. Habe nun schon seit vier Abenden den Wagen nicht gesehen. Mit meiner Astronomie geht’s sehr schlecht. Ich habe gar keine Zeit, muß so viele Stunden versäumen. Überhaupt werd ich recht einfältig. Kann gar nichts lesen, schreiben. Li soll mich aber wieder klug machen. Will Li? Ich weiß wohl, was Li denkt. Werde vor Küssen nicht dazu kommen können. Aber das Küssen macht eben so klug. Gott, Li, wie ist das so wahr. Wie erschienen unsre Seelen größer, schöner. Oft war’s mir, als säh ich mit neugeschaffener Kraft in die Harmonie der Wesen um mich her. So wird es immer sein und schöner, weil das Gefühl noch höher sein wird, wenn keine Besorgnis der Trennung es stört. 101. Caroline an Humboldt [Erfurt], 2. Dezember 1790, abends Alle Donnerstag morgen geht ein Mädchen vor unsrem Hause vorbei, deren ihr Bräutigam in Sondershausen wohnt. Die Post kommt gemeiniglich gegen zehn Uhr an und gleich darauf, es sei auch was vor Wetter es wolle, das Mädchen, ihren Brief abzuholen. Den Freitag trägt sie ihre Ant- wort wieder hin. Das ist eine Woche wie die andre. Seit ich es weiß, steh auch ich wie gebannt am Fenster, und es freut mich immer, wenn ich sie sehe. Wollte es wohl ihrem Gang an- 300