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[   Band 1 Brief 99:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Montag abend 10 Uhr, 29. November 1790   ]


Bill — ach, und wußte gar nicht mehr, was ich beginnen sollte.
Endlich kam er, und ich schloß ihn an die Brust. Wie höher, wie
stolz, wie glücklich hob sie sich da. O, bin ich’s denn noch, bin ich
noch dieselbe? Ja, ich bin’s, und ich werde ihn wieder in meine
Arme schließen. Ruhig, liebes Herz. Sollst ja nicht sein oder sollst
ihn haben. —
O, Bill, Du sollst ein Glück genießen, ein unentweiht heiliges
Glück, das noch in keines Menschen Herz gekommen, das die
kühnsten Hoffnungen nicht ahndet —— meine Seele fliegt wieder
empor, neuer Lebensmut glüht in ihr und verjüngte, göttliche Kraft.
— Ich las eben wieder Deinen gestrigen Brief. O, wenn mein
Leben nicht Liebe für Dich wäre, so wäre es Dank, Du heiliges,
nie ausgesprochenes Wesen.
. . . Wie Du, halte ich wenig von einer gewissen Art, auf
die Menschen zu würken, ich könnte auch nie viel von einem Menschen
halten, auf den mein Rat, mein Urteil schnell einen großen Ein-
druck machte. Er erschiene mir entweder unwahr oder flach und
wenig mit sich selbst beschäftigt. Verzeih, daß ich mich so schlecht
ausdrücke — ich meine, was tief mit unserm Wesen verwebt ist,
von dem scheidet man nicht leicht.
. . . Papa hat mich die Bücher aufschreiben lassen, die Du
bei Kaisern in der Versteigerung erhalten. Papa hat mir gesagt,
ich hätte Fehler in der lateinischen Orthographie gemacht, aber er
wollte es nicht korrigieren und meinte, ich könnte mich schon von
Dir auslachen lassen. Will es auch gern, bin ja ein arm unwissend
Kind. Aber werde eine kluge, vernünftige Frau werden, wenn ich
erst bei Bill bin.

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