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[   Band 1 Brief 98:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Mittwoch, 24. November 1790   ]


Wahrheit? — Einer Erdichtung wert geachtet zu werden, das muß
schrecklich sein. —— Carl, mit diesem wahrhaft großen Herzen, mit
dieser Wahrheit und Tiefe des Gefühls, so zu schreiben! Auch las
ich den Brief nicht. Also mag vieles entstellt sein. — Hat Carl
gefehlt, so ist’s nur sein alter Fehler, die Dinge nicht gehen zu
lassen, wie es das Schicksal und sein Gefühl will, sondern mit seiner
Vernunft hinein zu räsonnieren. Und in diesem Fehler liegt doch
auch wieder ein sehr großer Teil der Schönheit seines seltenen
Wesens, denn diese Stärke des Entschlusses bei dieser Heftigkeit
der Empfindung fand ich noch nirgend, am wenigsten bei Menschen,
die mehr gewöhnt sind, ihr Gefühl als ihren Kopf zu beschäftigen,
wie es bei Carl der Fall ist. Sie weiß ziemlich genau, wie ich
über sie denke, weiß aber doch dabei, daß ich nie aufhören werde,
ihr gut zu sein, und ist es mir wieder. Anfangs habe ich sehr ge-
waltsam zerrissen. Aber mein Wesen trägt es nicht, unwahr zu
sein, und ich unternehme nie, wovon ich fühle, daß ich’s nichtaus-
zudauern die Kraft habe.


99. Caroline an Humboldt         [Erfurt], Montag abend 10 Uhr,
                                              29. November 1790

O Bill, so unbeschreiblich sind immer die Nächte, aber doppelt
die vor den Posttagen. — Hundertmal wach ich aus dem
unruhigen Schlaf auf, es ist mir, wie wenn man mit einer
festgefaßten Idee von etwas, was man am Morgen tun will, zu
Bett geht und die Zeit zu verschlafen fürchtet — ich blicke nach
dem Tageslicht und zürne, daß es so lange zögert. — So währte
mir in Burgörner auch immer die Nacht zu lang — ach, die erste
nach Deiner Ankunft werd ich nie vergessen. — Endlich kam der
Morgen, und ich flog hinunter und wartete noch so lang auf meinen

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