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[   Band 1 Brief 97:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Mittwoch abend, 24. November 1790   ]


sich die Dinge in andren Köpfen gestalten mögen als in meinem.
Aber der Sommer hat mir eine andre Ansicht Deiner Ideen ge-
geben und — wie sehr ich Dich auch schon kannte und empfand
— ein unendlich innigeres Gefühl Deines Wesens. Laß es mich
Dir aufrichtig sagen, Bill, Du bist nicht für den Dienst gemacht,
es gehört eine gewisse Art Eitelkeit dazu, von der Dein Wesen
ewig geschieden sein wird, sich viel von dem großen Nutzen vorzu-
erzählen, den man stiftet, Dein Blick ist zu fein und durchdringend,
als daß Dir die Wahrheit entgehen sollte. Ich will nicht sagen,
daß es nicht vielleicht im Dienst Stellen gibt, wo ein Mann auf
seinen rechten Platz zu stehen kommt und sich einen ausgebreiteten
und wohltätigen Würkungskreis zu schaffen vermag, aber sie sind
selten, und seltener ist’s wohl noch, diesen Würkungskreis in den
schönen Jahren der Jugend zu erlangen. Dein Wesen ist gemacht,
in schönen, geistigen Gestalten zu schweben, es ist ein Reichtum
der Ideen und eine Eigenheit der Ansichten in Dir, die Dich zu
etwas andrem bestimmt — Du ahndest Dich so selten, mein süßes,
einzig liebes Wesen — und es liegt so eine Größe auch darin, aber
in den seligsten Momenten unsres Zusammenseins fühlt ich doch,
wie Du Dich inniger empfandest. O, sie werden wiederkommen,
diese seligen Momente, werden schöner noch wiederkommen in dem
Gefühl ihrer ununterbrochenen Dauer. Dann strahle Dir, wie im
süßen Anschauen verloren, das Auge dem Geliebten sein eignes
Bild zurückgibt, meine Seele treuer noch und reiner, die Gestalt
Deines inneren Wesens zu — o suche Dich in mir — ewig wirst
Du wie in holder, langersehnter Heimat Dich da wiederfinden.
Dich zu empfinden, zu fassen, wird ja mein ganzes Dasein füllen.
O Du unendlich schönes, heiliges Wesen, Du wirst glücklich sein!
— Wenn ich das empfinde, verschmilzt das Leben in solch eine
entzückende Harmonie, aber ich empfinde es nicht ganz, wenn ich
fern von Dir bin . . . Du trägst ja meine Seele in Dir. — Wie

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