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[   Band 1 Brief 97:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Mittwoch abend, 24. November 1790   ]


mich eine Stelle in einem Deiner Briefe gefreut hat! Du schreibst:
»Li, mein einziges Leben, folgt mir, sie ist bei mir, oder sie ist gar
nicht.« Wie einfach und wie wahr Du das empfunden hast! Bei
Dir wird sie sein, immer inniger in Dir leben, wo wäre auch sonst
noch ein Dasein für sie? — . . Habe mich auch so herzlich der
Entdeckung gefreut; daß Li im Hebräischen mein heißt, ist gar
hübsch. Male mir doch einmal vor, wie eine hebräische Li aus-
sieht, aber recht deutlich, damit sich’s das einfältige Kind vorstellen
kann. Ach, Li ist so einfältig — aber Bill muß nicht traurig sein,
daß er im Hebräischen nichts vorstellt, ist doch mein, alle Sprachen
mögen sagen, was sie wollen.
. . . . Armer Carl hat so viel mit Jetten zu schicken. Daß
Jette ihn liebte, wußte er wohl, und er legte etwas darauf. Ich
erinnere einiger Worte, die er mir einmal schrieb und die mir sehr
auffielen: »Ich war Jettens erste Liebe, und darin liegt für einen
Mann etwas sehr Schmeichelndes.« Ich konnte nie solchen suf-
fizienten Ton mit unsres lieben Carls Wesen reimen. Jette tut mir
weh, denn in ihrer Natur ist die Empfindung, die sie für Carl hegt,
die höchste, aber sie weiß nicht, was wahre Liebe ist. Das Be-
dürfnis, ihren Schmerz, ihren Verdruß, wenn Du es so nennen
willst, bekannt zu machen, kann ich nicht leiden. Es ist so klein,
es zeugt von so wenig innerem Gehalt und Leben in eignen, teuer
erkauften Gefühlen — laß mich abbrechen. Ich hatte zwei so üble
Nächte, daß ich ganz müde bin. O, wenn mir ein süßer Traum
Dein Bild brächte. Es geschieht so selten, und doch bist Du mein
einziger, langer, ununterbrochener Gedanke! Ruhe wohl, mein
süßes Leben, ach, daß ich einen Laut von Dir vernähme!

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