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[   Band 1 Brief 96:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], 19. November 1790,   ]


verleugnen. Welches Ideal der Schönheit und Größe muß man in
dem Geliebten erblickt haben, um, seines Selbsts sich entäußernd,
bedingungslos und schweigend sein Dasein hinzugeben. Das Dasein
ist doch alles, was der Mensch hat — und wenn ihm aus dem
Anschauen äußerer Vortrefflichkeit Fülle des Lebens und der Kraft
zuströmt, wie tief muß er die Wahrheit dieser Gestalten empfunden
haben. —
Wir dürfen stolz sein unsrer Liebe, Wilhelm, denn lange vor-
her, ehe wir uns einer in dem andern wiederfanden und so nur
ein Dasein und doch auf wunderbare Weise jeder ein zweifaches
Leben begannen, füllte doch schon die Liebe unsre Seelen mit der
Begeisterung, durch die sie allein, auf kühneren Fittichen empor-
getragen, tiefer in das Wesen der Dinge dringt.


97. Caroline an Humboldt    [Erfurt], Mittwoch abend,
                                    24. November 1790

Wie ist meinem lieben, süßen Bill? — Ach, war so lange von
ihm getrennt, konnte ihm nicht schreiben. Denke oft, Du hast
eine Ahndung davon und Du fühlst Dich dann weher und
einsamer. Und doch konnt ich nicht. Ich hatte ein paar unbeschreib-
liche Tage — muß Dir alles erzählen, wenn Du auch schiltst.
Den Montag kam ich auf den Einfall, eine Sorte sehr heftigen
Schnupfentobak zu nehmen, um mir den Schnupfen zu vertreiben,
der mir beschwerlich war. Tat denn auch so herrliche Würkung,
daß ich mich am Abend vor Kopf- und Augenweh gar nicht be-
sinnen konnte, ging aber demohngeachtet gestern zum Koadjutor,
weil ich’s ihm versprochen hatte und ihm daran gelegen zu sein
schien. Zürne nicht — ach, habe manchmal so eine Freude daran,
mir selbst etwas zum Possen zu tun — weiß wohl, daß das nicht

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