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[   Band 1 Brief 94:    Humboldt an Caroline    [Berlin], Sonntag abend, 14. November 1790   ]


verzehrende Gefühl zu nähren, bis es mein Wesen zerstört hätte.
Auch da das Höchste leiden und genießen und leidend und ge-
nießend vergehn!
O! wahrlich, recht und tief empfunden gibt die Liebe nie
etwas anders als höchste Seligkeit.
Selbst unerwidert muß es ja das ganze Wesen heben und
adeln, das zu empfinden, zu tragen, und dem alles, alles zu opfern.
So, Lina, wärest Du immer meines bessern Daseins einzige Schöpferin
gewesen, hätt ich auch nie an Deinem Herzen ruhen dürfen, hätte
auch Dein glühender Kuß nie auf diesen Lippen gebrannt!


95. Caroline an Humboldt      [Erfurt], 15. November 1790,
                                       Montag abend 11 Uhr

Ich habe eben eine saure Arbeit vollendet, mein Bill, und
komme noch auf einige Augenblicke zu Dir, um mich
wieder zu erholen. Auf Papas Befehl schrieb ich an
meine drei Tanten, um unsre Verbindung zu melden. Von ihr in
dem Tone reden zu müssen, der doch da notwendig ist, um mich
verständlich zu machen, kostet mich so viel, und doch ist das der
einzige, in dem ich noch über unser Verhältnis reden kann. Ver-
zeih das kalte Wort. Meine Seele ist noch von den drei Briefen
gelähmt. Aber die Menschen dürfen nicht wissen, was wir uns
sind. Wenn sie unsre Gefühle ahndeten, schienen sie mir entweiht.
Selbst gegen die Besten vermag ich nichts auszusprechen. Der
Koadjutor — er ist mir so viel, so sehr viel, aber in das innere
Leben meiner Seele dringt nicht sein Blick, und was ist ihr Leben
anders als Liebe? In dieser Einsamkeit erschein ich mir auch so
reich, so in meine eigne Seele gehüllt ist’s mir noch allein erträg-
lich unter den Menschen. O, und so muß es bleiben, wenn wir

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