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[   Band 1 Brief 93:    Caroline an Humboldt     [Erfurt], Freitag abend, 12. November 1790   ]


in Burgörner — wo ich lange in der Gartenstube vor Dir auf
dem Sofa lag und ich Dich endlich frug, ob meine Liebe das ganze,
volle Glück Deines Lebens machen würde? Mit einer Stimme,
deren Klang noch vor meiner Seele tönt, mit dem Ausdruck der
himmlischsten Liebe umarmtest Du mich — »o Lina, das ganze,
einzige, dauernde Glück meines Daseins wirst Du machen.« —
Wie groß, Wilhelm, fühlt ich mich in dem Moment! Ich empfand,
daß mein Wesen seine Bestimmung erreicht hatte — mein ganzes
vergangenes Dasein mit allen seinen Leiden und Freuden war nur
dagewesen, diesen Augenblick hervorzubringen, in einen harmonischen
Klang zerfloß die Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft — ich war
für Dich geschaffen, Du für mich! So fühlt ich mich in jener
seligen Stunde, so fühl ich mich noch jetzt, da der Schmerz der
Trennung mein Wesen zerreißt. Ach, und wenn ich darüber ver-
gehn sollte, wenn im schrecklichen Drang äußerer Umstände mein
Wesen bräche, so würde mein letzter Moment noch bekennen, was
ich so tief und wahr in mir fühle, daß ich das Ziel erreichte, für
das ich bestimmt war. Dich lieben, Dich in jeder Gestalt immer
inniger auffassen, die Fülle Deines Lebens und Deiner schönsten
Kräfte mehren, nur dazu ward mein Wesen hervorgerufen. Die
Vergangenheit war nur Erziehung; in Dir erst begann mein wahres
Leben, in mir das Deine. Das ist’s, was unser Dasein so reich,
so allumfassend, so überströmend an Wonne selbst in dieser Zeit
der Trennung macht, daß wir es nur fühlen, einer in dem andern.
Kein Laut unsres Wesens verhallt einsam — sanft und voll tönt
er schöner aus dem Geliebten zurück. Harmonie, Zusammenklang
wird das Leben unsrer Seele. Keine Blüte verwelkt ungenossen.
Liebe harrte auf den Moment, in dem sie sich erschließen würde.
In ihrem milden Odem entfaltet sich jede zur höchsten Schöne,
reiht sich willig an den Kranz, mit dem sich die Göttliche schmückt.
— O, Bill! wie groß und erhaben fühlt sich wieder mein Herz —

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